Die wilde Jagd - Roman
Rest?«
Sie konnte nur mit den Achseln zucken. »Ich glaube, sie sind noch nicht eingetreten.«
Ein grimmiges Stirnrunzeln senkte seine Brauen; sie ahmten nun die Linien seines Schnauzbartes nach. Einen ähnlichen Gesichtsausdruck hatte er im Kampf gegen die Wassergeister und Kobolde gezeigt, die Teia in ihrer Kindheit bedrängt hatten. Doch sie wusste, dass diese neuen Dämonen nicht mit einem Kriegsschrei zu bannen waren, während gleichzeitig für Licht gesorgt wurde. Es bedurfte mehr als eines Kinderbeschützers, um sie nun zu verteidigen, auch wenn er Teirs tapferen Arm hatte. Andererseits wusste sie nicht, an wen sie sich sonst hätte wenden sollen.
»Als Ytha mir gesagt hat, du besitzt die Gabe, konnte ich ihr kaum glauben«, sagte er. »Seit dreihundert Jahren hat es in unserer Familie keine Sprecherin mehr gegeben. Bist du dir dessen, was du gesehen hast, sicher?«
»Ja.« Daran hegte sie nicht den geringsten Zweifel. »Ich habe Maegern gesehen, als die Sprecherinnen sie beschworen haben, und ich habe sie sprechen hören. Die dunkle Göttin hat die Sprecherinnen ›kleine Frauen‹ genannt und sie wegen ihrer Schwäche verspottet.«
Nun ertönte diese schreckliche Stimme wieder im Innern ihres Kopfes, und sie zuckte bei der Erinnerung zusammen.
»Die Sprecherin hat Kräfte, die jenseits unseres Begreifens liegen, Teisha«, sagte Teir mit einem gewissen Zweifel in der Stimme.
»Genug, um sich gegen eine der alten Gottheiten zu stellen? Auch ich habe Kräfte, Papa, aber als ich gesehen habe, wie Maegern im magischen Kreis erschien, habe ich mich fast vor Angst besudelt.« Teia lachte kurz und freudlos auf. Sie konnte einfach nicht glauben, wie wagemutig und anmaßend Ytha gewesen war, und sie hatte Angst vor dem, was ihrem Volk daraus erwachsen konnte. Hysterie lauerte am Rande ihres Bewusstseins. »Wie kann sie glauben, dass sie je in der Lage sein wird, die dunkle Göttin nach ihrem Willen zu lenken? Sie könnte genauso gut dem Wind befehlen, nach Westen zu blasen.«
»Dann musst du sie warnen.«
»Sie weiß es bereits. Sie hat die Blutvision gesehen. Die Bilder waren so klar wie der helle Tag im Wasser zu erkennen, aber ich glaube, sie hat sie als Bilder des Sieges gedeutet. Ich habe erst später erkannt, dass das, was ich gesehen habe, die Wilde Jagd war, die sich gegen unser eigenes Volk gerichtet hat. Und auch gegen die anderen Völker sowie gegen das Reich selbst.«
Ihr Vater runzelte die Stirn. »Wir wurden von den Truppen des Reichs vertrieben, Teisha. Ich bezweifle, dass viele im Clan es bedauern würden, wenn es untergeht.«
»Das bedeutet der Wilden Jagd nichts«, sagte sie. »Blutrache, Geschichte, all das ist bedeutungslos. Für die Wilde Jagd sind wir alle nichts als Beute.«
Der Tag war kaum angebrochen, und schon war es so finster wie in der Abenddämmerung. Kein Vogel rief, und kein anderes Geräusch als das leise Jammern des Windes war zu vernehmen. Herbeigewehte Schneekristalle stachen in Teias Gesicht, und die Kälte zwickte sie plötzlich so, dass es wehtat. Teia wollte sich nur noch zusammenrollen und weinen.
»Weiß sonst jemand, was du gesehen hast?«, fragte ihr Vater schließlich.
Sie schüttelte den Kopf. »Wem hätte ich es sagen können? Und wer würde mir glauben?«
Plötzlich blitzten Teirs Zähne hell in dem trüben Licht auf. »Ich glaube dir.«
»Mein Wort steht gegen das Ihre, Papi. Ist mein Wort etwa mehr wert als das der Sprecherin der Crainnh?«
»Es ist mehr wert, als du glaubst, meine Tochter. Zumindest für mich.« Er drückte ihre Schultern. »Und mein Wort zählt bei den Männern noch immer etwas. Zumindest bei einigen von ihnen. Wenn das Wetter hält, werden wir bald wieder auf die Jagd gehen. Ich werde insgeheim mit ihnen reden.« Er blies in seinen Schnauzbart und schob sich die Haare zurück. »Ich weiß nicht, was ich sonst noch tun kann, aber ich glaube dir.«
»Ytha weiß nicht, was ich erkannt habe. Und sie weiß nicht, dass ich es dir mitgeteilt habe. Noch nicht.« Sie wagte es nicht, der Angst Ausdruck zu verleihen, was wohl mit ihr geschehen würde, wenn Ytha es herausfand.
»Ich verspreche dir, dass ich vorsichtig sein werde.«
»Danke.«
Sie zog ihren Mantel enger um sich. Die Kälte war ihr bis in die Knochen gefahren, und plötzlich fühlte sie sich unendlich müde.
»Komm, wir gehen nach drinnen«, sagte Teir und legte den Arm um sie. »Besuch uns beim Erstmond und bleib zum Abendessen. Ana vermisst dich.«
»Aber das Clangesetz
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