Die wilde Jagd - Roman
…« Sie verstummte. Dem Clangesetz zufolge hätte ihr Vater nicht einmal hier sein dürfen, und doch war er es und hatte schützend den Arm um sie gelegt. Das heftige Gefühl der Liebe, das diesem Gedanken folgte, war so wärmend wie eine Schüssel Suppe. Es bedeutete doch etwas, die Braut des Häuptlings zu sein.
Sie ließ sich auf seine Umarmung ein. »Ich vermisse sie auch. Ich komme, wenn ich kann.«
Mit dem Kopf an der Schulter ihres Vaters ging sie zurück in den Schlund des Berges.
In jener Nacht hatte Teia einen neuen Traum. Ytha stand stolz in ihrem Polarfuchspelz da, hielt den Weißholzstab in der einen Hand und hatte die andere tief im Fell eines gewaltigen Hundes vergraben, der neben ihr auf den Hinterläufen saß. Ein weiterer lag zu ihren Füßen. Sie waren größer als die Wölfe der Ebene, größer sogar als die Wölfe, die an den Berghängen lebten. Sie hatten die Brustkörbe von Wölfen, aber die gewaltigen Kiefer von Bluthunden. Der Hund zu Ythas Füßen gähnte träge und zeigte dabei Zähne, die so scharf wie Eiszapfen waren. Seine Zunge war beinahe lila. Er sah Teia mit feurigen Augen an und grinste.
Ruckartig erwachte sie mit rasendem Herzen. Neben ihr regte sich Drwyn und fragte mit schlaftrunkener Stimme, was los sei.
»Ich hatte einen schlechten Traum«, sagte sie. »Schlaf wieder ein.«
Sie schob sich die schweißnassen Haare aus den Augen, stand auf und goss sich einen Becher Wasser ein. Es schmeckte schal, da es lange im Krug gestanden hatte, doch wenigstens schenkte es ihrem Mund ein wenig Feuchtigkeit, und als sie es herunterschluckte, löste sich der Knoten in ihrer Brust.
Die Augen der Bestie waren schrecklich wissend gewesen, als ob eine Intelligenz durch sie geblickt und sie ausgelacht hätte, die größer als die des Tieres war. Teia erzitterte. Als sie das Wasser ausgetrunken hatte, legte sie sich wieder hin und zog die noch warmen Felle über sich.
Bei der Beschwörung hatte Maegern gesagt, sie würde Hunde schicken, die die Clans führen sollten. Teia stellte sich vor, wie diese riesigen Bestien pfeilgleich durch den Schnee auf ihre Ziele zurannten. Den Legenden zufolge liefen sie auf ewig, Tag und Nacht, bei stürmischem und bei gutem Wetter, und nie blieben sie stehen. Wenn ihre Beute erlegt war, hielten sie ein Festmahl.
Teia zuckte zusammen; ihre Vorahnung verursachte ihr Übelkeit. Sie wollte nicht darüber nachdenken, woraus ihr Festmahl bestand.
Drei Nächte, nachdem sie ihrem Vater ihre Ängste gestanden hatte, sah Teia weitere Hunde in ihren Träumen. Manchmal war es nur ein einzelnes Tier, manchmal ein ganzes Rudel, das sich wie eine Flut über die Ebene ausbreitete, und immer folgte ihnen Maegern als Gestalt aus Rauch und Schatten und trieb die Tiere an.
Jeden Morgen erwachte Teia mit einem Gefühl der Angst vor den kommenden Tagen. Das Gewicht der Berge über ihr wurde immer bedrückender, und sie fühlte sich immer kleiner und hilfloser. Als der Wandermond abnahm und der Erstmond bevorstand, verließ sie der Appetit, und nicht einmal der aufklarende Himmel, der das Versprechen des Frühlings mitbrachte, konnte sie mehr aufheitern.
Da die Stürme nachgelassen hatten, gingen die Crainnh wieder auf die Jagd. Jeder Mann, der einen Speer halten konnte, machte mit – einschließlich ihres Vaters. Die Räucherkammer wurde ausgefegt, und neue Feuer wurden angezündet, damit die Beute haltbar gemacht und verwertet werden konnte. Obwohl Teia nicht mehr so oft übel war, schützte sie einen empfindlichen Magen vor, um sich von diesen Aufgaben fernzuhalten. Sie hatte genug Elchfettseife für ein ganzes Leben gekocht. Doch dem Gestank vermochte sie nirgendwo zu entrinnen. Er hing in ihren Kleidern und Haaren, und nicht einmal die scharfe Bergbrise war in der Lage, sie wegzublasen.
Am vierten Tag kratzte Ytha flüchtig am Vorhang des Gemachs.
»Es ist Zeit, mit deiner Unterweisung zu beginnen«, sagte sie, nachdem Teia sie begrüßt hatte. Die Sprecherin sah sie von oben bis unten an und bemerkte die Schatten um Teias Augen. Unzufrieden verzog Ytha die Lippen. »Vielleicht sollte ich ein andermal wiederkommen.«
»Keineswegs, Sprecherin. Kommt bitte herein.« Teia trat beiseite und ließ die ältere Frau herein.
»Bist du krank?«
»Ich habe nicht gut geschlafen, das ist alles.«
»Weitere Träume?«
Ythas grüne Augen waren kühl und forschend, aber Teia erwiderte ihren Blick fest. Sie musste es. Ytha durfte nichts von ihren wahren Visionen erfahren –
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