Die wilden Jahre
Bankier direkt.
»Kaum«, erwiderte Schiele.
»Aber sie kaufen doch diese Papiere?«
»Wer behauptet das?«
»Das sage ich Ihnen nun wiederum nicht«, sagte der Bankier.
»Wir kaufen vieles«, entgegnete Dr. Schiele.
Seine Basedowaugen waren glanzlos. Entweder kommt das von der Schilddrüse oder er trinkt zuviel, überlegte der Bankier. Galle vielleicht oder Milz. Der Mann ist eine Maschine. Damit kommt er bei mir nicht weit. Wenn ich will, verderbe ich ihm den Fischzug.
»Darf ich Ihnen übrigens etwas anbieten?« fragte der Bevollmächtigte, »Kaffee? Kognak? Eine Erfrischung?«
»Danke. Ich habe ein Geschäft für Sie.«
»Geschäft für uns?«
»Oder wollen Sie nicht mit mir?«
»Warum nicht? Wir machen mit allen Geschäfte«, sagte Dr. Schiele.
»Wir haben doch schon einmal ganz gut zusammengearbeitet. Damals.«
»Sie haben für sich gearbeitet, nicht für uns.«
»Wollen wir diesmal nicht zusammen …«
»Wenn Sie uns etwas zu bieten haben.« Der Bevollmächtigte blieb ruhig, aber er sah auf die Uhr.
»Natürlich«, erwiderte Wagenknecht. »Ich biete ihnen meine Verschwiegenheit.«
Schiele reagierte nicht, aber in seinen Augen stand Ärger.
»Das ist leider zu wenig«, sagte er.
»Wie Sie wollen.«
Der Bankier verbeugte sich leicht. Er war jetzt sicher, Ritts Manipulationen durchschaut zu haben, verabschiedete sich kühl, verbarg seine Eile, hastete über die Straße, übersah den Gruß des Portiers, stürmte die Treppe hinauf.
Der Gang zu seinem Büro lag im Halbdunkel. Hier stand Karin, wie auf der Lauer.
Sie hatte ein schräges Lächeln, bückte sich leicht, um an ihren Schuhen etwas zu richten. Es wirkte, als wolle sie sich ausziehen.
Peter Paul Wagenknecht rannte an ihr vorbei, riß die Tür seines Büros auf, ließ seine Vertrauten kommen und gab Order, angebotene Alpha- Aktien aufzukaufen, um jeden Preis und mit allen Reserven.
IV
Der Mann, dessen Flucht die Geschäftswelt in der City so verwirrte, schaukelte am Mittwoch, zwei Tage nach seinem Cocktailempfang, zwischen Athen und dem Libanon, auf der Höhe von Zypern, mit Kurs Beirut, und gab sich wie ein sorgloser Urlauber und zärtlicher Sohn.
Er war gestern, kurz nach elf Uhr, gestartet. Das Abenteuer hatte ganz unromantisch begonnen: Der Nebel schwebte über dem Flugplatz wie ein Witwenschleier, als Martin Ritt verfolgte, wie seine zweimotorige Privatmaschine vom Typ ›Bonanza‹ am Rande des Flugfeldes aufgetankt wurde. Er sah dem Piloten entgegen. Der Mann kam aus der Baracke des Flugsicherungsdienstes und winkte ihm schon von weitem mit der Wetterkarte zu, und das hieß: freie Fahrt.
Martin beugte sich zu seiner Mutter hinab. Sie fröstelte, trotz ihres Pelzmantels.
»Dabei hättest du besser einen Badeanzug mitnehmen sollen, Maman«, sagte er, »wir haben Glück mit dem Wetter. Aber du glaubst es natürlich wieder nicht.«
Er ging auf das Einstiegsluk zu, half ihr über die Bodentreppe und setzte sich neben sie. Er schnallte den Sicherheitsgurt um ihre Taille; dann legte er seine Hand um ihre Schultern. Er zog sie leicht an sich. Sie hob den Kopf und sah ihn an. Ihr Gesicht war schmal, winzig; weil sie Angst hatte, wollte sie es mit Mut maskieren.
»Non, je n'ai pas peur«, sagte sie, »sûrement pas. Tu peux le croire, tu es donc près de moi. Tu ne ferais rien pour …« Sie sprach mit leiernder Kinderstimme, beteuernd, daß sie die Dunkelheit nicht fürchte.
»Ich weiß, daß du keine Angst hast«, entgegnete er.
Die Maschine rollte langsam an. Bei den ersten Umdrehungen des Motors wippte sie einbeinig nach links und rechts wie ein Storch. Die ›Bonanza‹ erreichte die Zementpiste, ihre Räder drehten sich jetzt glatt und schnell. Der Pilot stoppte den Motor, während der Rumpf nachschaukelte wie ein Kinderpferd, die Tragflächen standen still. Er blockte den Motor auf, gab Vollgas; erst den linken dann den anderen Motor. Das Geräusch der Übertouren bohrte sich in die Ohren.
Der Mann am Knüppel drehte sich um.
»Fertig!« sagte Martin.
Die ›Bonanza‹ schoß nach vorn: hundert Meter, zweihundert. Gerade als sie sich sanft anhob, sagte Madame Rignier:
»En effet; je n'ai pas peur. Tu ne crois pas, mon petit filou?«
Der Pilot mußte gegen den Wind starten: nach Südost, auf die Baumgruppe zu, deren kahle Äste Fangarmen glichen, die nach der Maschine griffen. Sie gewann rasch an Höhe. Das Dach des benachbarten Gutshofes lag schon fünfzig Meter unter ihr. Die Schnauze des Flugzeuges wühlte sich
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