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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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jedoch dem Außenseiter eine Chance, seinen Feinden zu trotzen.
    Wagenknecht erhielt von einem Mann seines Vertrauens einen Wink und verließ die Börse so hastig, daß ein Lehrmädchen eine halbe Stunde später seinen Homburg nebst Handschuhen holen mußte. Er ging zu Fuß in sein Haus zurück, über die breite Marmortreppe zu seinem Büro im ersten Stock.
    Überall funkelte Messing. Trotz aller beträchtlichen Pracht waren die Gewinne der Privatbank zusammengeschrumpft. Wagenknecht, in eine Baisse geraten, wartete ungeduldig auf das Ende der Wahlflaute.
    Der Informant von damals, als sich Ritt die Sperrminorität des Ferrai -Konzerns besorgt hatte und es Wagenknecht gelungen war, an dem sensationellen Profit teilzuhaben, hatte ihm heute den Wink gegeben, daß Ritt über Strohmänner Alpha- Aktien aufkaufe; deshalb zog sich Peter Paul Wagenknecht in sein Büro zurück wie die Schnecke in das Gehäuse. Er schloß sich ein, rieb sich die Hände. Sein Gesicht glühte. Er betrachtete die Aktienkurse wie unter der Lupe. Alpha, dachte er, das ist es. Ritts jüngster Parcours. Zu Diensten. Wagenknecht & Co. ist immer dabei. Im Sog des Mannes von morgen. Durch Ritt zur Macht.
    Der Bankier gab Anweisung, vorsichtig Alpha- Aktien zu kaufen. Er war sicher, daß Ritt in der Stadt war, in einem fremden Zimmer, seine jüngste Transaktion per Telefon leitend. Erfreut erfuhr er am Abend, daß Martin Ritt in Begleitung seiner Mutter ein verstecktes Ausflugsrestaurant besucht habe.
    Dieses Gerücht lief weiter, schlief in der Nacht ein paar Stunden, erhob sich früh am Morgen und wuchs mit dem Aufstehen. Es lief durch die City, es rollte, wälzte, stampfte durch Bankkontore und Chefbüros, und es raunte den Wirtschaftskapitänen zu: Ritt blufft! Aber diesmal wird er in seine eigene Falle laufen!
    Den ganzen Tag saß Bankier Wagenknecht an seinem Schreibtisch. Von nun an hieß es im Hintergrund bleiben. Er war entschlossen, die Spekulation mitzumachen, aber er wollte doch mehr Sicherheit.
    Diesmal wählte er die Verbindung zur Firma Ritt selbst. Er erfuhr, daß sich der Urlauber inzwischen aus Athen gemeldet habe und weitergeflogen sei. Nachrichten würden notiert und unverzüglich an ihn weitergegeben. Im übrigen verweise Herr Ritt an Herrn Dr. Schiele. Herr Dr. Schiele sei allerdings in einer Dauerkonferenz und erst ab Sechzehn Uhr zu sprechen.
    Wagenknecht legte behutsam auf, betrachtete die Spuren seiner Hand am Hörer; klebrige Spuren.
    Er öffnete das Fenster.
    Gegen Mittag waren die Alpha -Aktien um weitere drei Punkte gestiegen. Der Bankier lächelte wissend: es waren seine Käufe. Ritt, dachte er, der Fuchs, überstürzt nichts; er läßt sich Zeit beim Ankauf.
    Eine Tageszeitung, der man gute Verbindungen zum Hause Ritt nachsagte, warnte in ihrem Wirtschaftsteil in einer kurzen Notiz vor dem undurchsichtigen Manöver mit den Alpha- Aktien . Wagenknecht faltete das Blatt so zärtlich zusammen, als streichle er es. Auch heute stand es ganz im Dienst des Wahlkampfes:
    AUFFORDERUNG AN DIE BÜRGER, SICH AM WAHLSONNTAG ZUM ABENDLAND ZU BEKENNEN – FRAUENVERBÄNDE BEKENNEN SICH ZUM ABENDLAND – KANINCHENZÜCHTER, BRIEFMARKENSAMMLER, TIERSCHÜTZER, SCHLÄCHTERINNUNG, RASSEHUNDZÜCHTER, KONSUMENTEN, KORPSSTUDENTEN, KÜCHEN-, KELLEREI- UND KANTINENBETRIEBE BEKENNEN SICH ZUM ABENDLAND.
    Peter Paul Wagenknecht lächelte: Das Abendland bekennt sich zum Abendland, dachte er – und Ritt fliegt ins Morgenland?
    Der Bankier meldete sich im Ritt-Hochhaus an, ging über die Straße und wurde von Dr. Schiele bereitwillig empfangen. Wagenknecht mochte ihn nicht, aber er begegnete dem Bevollmächtigten mit ausgesuchter Freundlichkeit.
    »Eigentlich möchte ich mich nur noch einmal bedanken«, begann er umständlich, »für die freundliche Einladung zu diesem gelungenen Empfang.«
    Dr. Schiele nickte gleichmütig.
    »Eigentlich hätte ich es ja gern Herrn Ritt selbst gesagt und bin ein wenig überrascht über seine plötzliche Abreise …«
    »Ich auch«, erwiderte der Bevollmächtigte, ohne zu lächeln, und setzte, um Wagenknechts Visite abzukürzen, hinzu: »Aber es handelt sich wirklich um eine rein private Reise. Madame Rignier fühlte sich nicht wohl.« Seine Hände unterstrichen die Worte, während seine hängenden Schultern auszudrücken schienen: Ich verstehe es ja selbst nicht, es ist nicht zu verantworten; aber wenn es um seine Mutter geht, ist er niemals ganz berechenbar.
    »Stecken Sie hinter den Alpha- Aktien?« fragte der

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