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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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mother.«
    »Jetzt haben sie dich erkannt.« Martin lächelte wie ein Gassenjunge.
    Sie nippten an ihrem Kognak. Er griff zum libanesischen Nationalgetränk, Arrak, dreifach destilliert aus Trauben und Anis.
    »Du ssu viel trinken«, sagte die Mutter. »So schön hier. Warum wir nicht bleiben hier? Oder gehen ganz an Côte d'Azur?«
    »Wir nicht gehen können«, ahmte Martin sie nach. »Ich Geschäfte 'aben.«
    »Du bist stupide filou – du bist ssu sehr ssu trop rich –«
    »Was unternehmen wir morgen?« fragte er. »Fahren wir in die Berge? Suchen wir uns eine Schlucht im Hochgebirge, Sonne im Schnee? Oder besuchen wir in Baalbek den Venustempel von Heliopolis? Oder lassen wir uns nach Biblos bringen, in die älteste Stadt der Welt, die das Alphabet erfunden haben will, oder machen wir eine unterirdische Kahnfahrt in den Grotten von Jeitta? Oder –«
    »Oder bleiben wir ssu 'ause. Sonne und eine Chaise ssu liegen.«
    »Einen Liegestuhl«, sagte er.
    »He's a French«, sagte die dunkle Amerikanerin.
    »No«, widersprach die andere, »he's british.«
    »Mon petit, warum du nicht 'ast eine Frau?« fragte Germaine Rignier.
    »Ich hab' doch dich.«
    »Filou, ich bin keine Frau, sondern eine Mutter.«
    »Das ist mehr.«
    »Aber keine Frau«, erwiderte sie und lächelte, weil sie sehr zufrieden mit dem Rang war, den sie bei ihm einnahm. Sie sah zu den Amerikanerinnen am Nebentisch und dann zu Martin. Es war ein prüfender Seitenblick zärtlichen Mißtrauens.
    Dann stand sie auf.
    Er brachte sie hinauf, verabschiedete sie behutsam, wartete noch, als sich die Tür geschlossen hatte. Die Seeluft wird ihr gut tun, sagte er sich. Sie hat schon in Athen so gut geschlafen. Die Erkältung wird geheilt, bevor noch die Kur beginnt. Der Arzt bin ich.
    Er suchte die Bar auf, fand Gefallen an dem Arrak, schüttete das scharfe Zeug hinunter, spürte Schwingungen einer stummen Fröhlichkeit und merkte erst, wie das harte Getränk wirkte, als sein Gesicht verwackelte, wenn er es im Spiegel betrachten wollte.
    Er zahlte und ging hinaus. Die Nacht war mild und weich. Sie schlich auf Katzenpfoten. Vom Meer her säuselte der Wind. Aus einem Dancing kam orientalische Musik, Töne mit Schlangenarmen. Während er zuhörte, sah er den rhythmisch verzückten Bauch der Tänzerin, den Schleier vor dem Gesicht, hörte das Klappern des Tamburins, das Klatschen der nackten Füße auf dem Boden. Er sah, wie schwer die Danseuse in ihr Brusttuch atmete.
    Er seufzte und ging weiter.
    Er kam an einem Nightclub unter freiem Himmel vorbei, während sich eine ägyptische Kapelle austobte. Er ging von Bar zu Bar. Überall Musik, Alkohol, Frauen, Erwartung. Er begegnete Frauen, die ihr Alter betrügen oder einen Mann durch einen anderen Mann vergessen wollten; Mädchen im Abendkleid, halb nackt oder vermummt; müde Vamps neben lebenden Mumien; Minderjährige als reife Frauen verkleidet, Herbstzeitlose als Teenager aufgemacht. Alle maskiert, Irrlichter in den Augen, gierige Hände, Larven, Schablonen, Visiere.
    »Garçon!« rief er, stürzte den Arrak hinunter und zahlte.
    Die frische Luft machte ihm Beine, vier auf einmal. Dennoch kam er nur tastend voran. Alles drehte sich um ihn. Auch die Negerin, die ihn in ein Haus locken wollte.
    Der Weg zu seinem Hotel war mit Bars gesegnet. In der nächsten Kneipe sprach ihn eine Zwanzigjährige in schauerlichem Englisch an und legte gleich den Arm um seinen Hals. Er hörte an ihrem Akzent, daß sie eine Deutsche war. Sie erklärte ihm zwischen Lachen und Weinen, daß sie aus der Ostzone komme, durch ein westliches Journal verleitet, in Beirut ihr Glück zu machen. Es sei nicht viel daraus geworden, aber er könne für zehn libanesische Pfund mit ihr schlafen.
    Er schob ihr einen Geldschein zu und winkte ab, als sie mitkommen wollte.
    Vor dem Hotel begegnete er der dunklen Amerikanerin und ihrer Freundin wieder. Sie lockten ihn mit den Augen, sie wollten den Mann – kein Geld. Sicher verheiratet, dachte er, ihre Augen sind rund wie Eheringe.
    Er spielte an den Knöpfen seiner Jacke, als wolle er abzählen, drehte sich noch einmal nach den beiden um und blieb stehen.
    Auch die beiden Amerikanerinnen gingen nicht weiter, steckten die Köpfe zusammen und sagten etwas über ihn. Er konnte es nicht verstehen. Er sah nur, daß sich ihre Lippen aufgeregt bewegten wie Schmetterlingsflügel. Er sah ihr Lächeln, sah ihre Hände.
    Er hatte das Portal seines Hotels erreicht und hörte schon wieder einen Calypso-Rhythmus,

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