Die wilden Jahre
mich?«
»Vorläufig nicht«, entgegnete der Bevollmächtigte trocken. »Aber warten Sie die Bundestagswahl ab: Wenn die derzeitige Regierung mit einer starken Mehrheit bestätigt wird, werden die Leute mit Sicherheit ein Gesetz gegen unsere Rotation einbringen.«
»Eine Lex Ritt also?« fragte Martin. »Eigentlich haben wir es in zehn Jahren ziemlich weit gebracht.« In seinen Pupillen lichterte die Lust, seinen Hausjurist zu provozieren. »Wer hätte das gedacht, als Sie mir damals behilflich waren, eine Firma aufzubauen, die mit aus dem Osten in den Westen verschobenen Strümpfen begann …?«
»Ich würde das vergessen«, erwiderte Schiele, »Ost-West-Aktionen sind heute nicht mehr in Mode.«
Die Sekretärin kam aus dem Vorzimmer mit zögernden Schritten, sie sah aus wie ein Huhn, das sich im Regen verlaufen hatte, und sagte, daß sich Herr Wagenknecht nicht abweisen lasse; und während sie aufzählte, was sie alles versucht habe, drang der Bankier in Schiele Büro ein, sah Ritt, verbeugte sich im Gehen und rief aufgebracht:
»So geht das nicht, meine Herren – ich lasse mich nicht länger …«
Der Hausherr begrüßte ihn gelassen, freundlich. Wagenknecht sah nicht mehr wie ein biederer Maestro aus, sein Gesicht wirkte teigig, verquollen, und der Haarkranz um die Stirnglatze glich verschmutzter Wolle.
Er setzte sich, bevor er dazu eingeladen wurde, und sagte mit dem kurzen Atem der Angst: »Sie entschuldigen.« Er holte Tabletten aus der Tasche und schluckte sein Kreislaufpräparat, ohne Wasser. »Immer, wenn ich mich so aufrege …«
»Doch nicht unsretwegen?« fragte Ritt.
»Sie müssen mir – müssen helfen …« Er rieb sich mit einem Taschentuch die Handflächen trocken.
»Aber sicher«, entgegnete Ritt mit der sanften Stimme eines Krankenpflegers. »Schiele, nehmen Sie sich bitte Herrn Wagenknechts an – ich schaue später noch einmal herein – Sie entschuldigen, meine Herren«, verabschiedete er sich, »dringende …«
Ritt betrat sein Büro, stand mit hungrigem, wölfischem Lächeln an der Panoramascheibe und sah über die Dächer der City, die geduckt vor seinen Augen lagen, als beugten selbst sie sich vor seiner Macht. Er ging mit federnden Schritten an seinen Schreibtisch.
»Ich verstehe Ihre Vorwürfe nicht, Herr Wagenknecht«, kam Schiele Stimme aus dem Lautsprecher; Martins Vertreter sprach wie ein Mann, der höflich bleiben will und es mitunter vergißt. »Gut, wir haben Alpha- Aktien gekauft und sie wieder abgestoßen. Wir machen das jeden Tag, mit allen möglichen Papieren. Sie übrigens auch. Sie haben verloren – wir haben verloren.«
»Sie haben mich aufs Glatteis geführt«, jammerte der Bankier, »Sie haben es darauf angelegt, daß ich einbreche, daß …«
»In diesem Ton können Sie mit mir nicht weitersprechen.«
Wagenknecht benahm sich, wie es Martin erwartet hatte. Die Übertragung begann ihn zu langweilen. Schwieriger würde es sein, Aschenbrödels Adresse zu finden; dann erinnerte er sich Bettinas und bedauerte, in nächster Zeit andere Sorgen zu haben.
Er hatte seiner geschiedenen Frau versprochen, sich nie um seine Tochter zu kümmern, und rechnete sich aus, welchen Kampf ihm Bettina liefern würde – und dank Dr. Schlemmer auch liefern konnte.
Martin rief in der Privatwohnung des Staatssekretärs an; es dauerte eine Weile, bis Bettina an das Telefon kam.
»Du?« sagte sie. »Das ist eine Überraschung.«
»Ja«, antwortete Martin. »Können wir uns treffen?«
»Seltsame Frage«, griff sie sofort an, »schließlich liegt es an dir, wenn wir uns seit Jahren nicht gesehen haben.«
»Und diesen Zustand sollten wir ändern«, entgegnete er und verabredete sich mit Bettina Schlemmer.
»Fünf Millionen wollen Sie?« hallte Schieles Stimme aus der Sprechanlage. »Gegen welche Sicherheit?«
»Meinen Ruf, und mein …«
»Was?«
»Wir haben Papiere, die nach der Wahl stark anziehen werden. Das wissen Sie so gut wie ich, Doktor Schiele – aber diese Aktien abzustoßen, da sie bald steigen werden, das wäre …« Selbst sein kurzer Atem kam aus der Sprechanlage. »Außerdem hat Herr Ritt ausdrücklich seine Hilfe …«
Helfen wir ihm also, dachte Martin sarkastisch, stand auf und ging in Schieles Büro.
Wagenknecht stürzte sofort auf ihn.
»Sie müssen – müssen mich anhören«, drängte er.
»Hören Sie zuerst mich an«, entgegnete Martin. Er ließ dem Bankier ein Glas Wasser bringen. »Und nehmen Sie Ihre Medizin lieber gleich, Herr
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