Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
Wagenknecht, denn ich muß – so fürchte ich – Ihren Kreislauf belasten.«
    Der Bankier rollte sich in seinem Sessel zusammen. Er sah aus, als duckte er sich vor einem Wurfgeschoß.
    Schiele betrachtete ihn gelassen; die dunkelgrünen Glaskugeln in seinem Gesicht glänzten wie von innen beleuchtet.
    »Verstehen Sie mich bitte richtig, Herr Wagenknecht«, begann Martin, »ich bin kein Moralist, wir alle übernehmen uns einmal, riskieren einen Alleingang, kommen durch oder bleiben liegen: Pech. Momentan Ihr Pech, lieber Herr Wagenknecht. Oder …?«
    »Nein.« Die Augen des Bankiers verschanzten sich hinter geröteten, verdickten Lidern.
    »Lassen wir das … Ihr teurer Neubau, die Flaute mit den Aktien –. Jedenfalls haben Sie versucht, mit einem Schlag aus Ihren Sorgen herauszukommen. Sie nahmen an, daß es mit den Alpha- Aktienklappen würde wie damals mit den Stahl-Papieren – und Sie sind eingestiegen. Kräftig, mit allen flüssigen Mitteln – und vielleicht auch mit Geldern, die Sie erst flüssig machten – nicht wahr? – Sie haben die guten Aktien verkauft und mit dem Geld schlechte erworben – mit Ihrem – oder auch mit dem Geld der Kunden …« Martin blieb stehen. Sein Kopf schnellte nach vorn. Die Bewegung erinnerte an einen Falken, der sich auf sein Opfer stürzt. »Mit wieviel eigentlich?«
    Wagenknecht schluckte seine Tabletten trocken, vergaß das Wasser. Sein Gesicht verschwamm, wurde breiig, ging einseitig auf, zuviel Hefe im Teig.
    »Sie sind fertig, Wagenknecht, erledigt. Morgen wird in dieser Stadt kein …«
    Armer Teufel, dachte Schiele, der wußte, wie es weiterging, weil er Ritts Glanzszene erlebt hatte, immer wieder: Schiele als Handlanger mit dem Mantel des Stars über dem Arm, der am Hochseil ohne Netz turnt, vor ausverkauftem Haus, das den Statisten nicht sieht, der fasziniert zu seinem Meister aufsieht, gebannt von seiner Kühnheit und ein wenig auch verbittert, daß ihm der Salto mortale so spielend gelingt.
    »Sie haben alles versucht, um Geld aufzutreiben, mit dem Sie Ihre Löcher stopfen – große Löcher. Ich bin die letzte Station, und die nächste kennen Sie auch. Nicht?«
    Er suchte den Blick des Bankiers. Aber Wagenknechts Augen wirkten wie kleine erloschene Krater. Der Mann sah sich von Ritt abgewiesen, bankrott, verhaftet, eingesperrt, sah das marmorglänzende, glasfunkelnde Haus in den Händen seiner Gläubiger, sah Karin, das lauernde, lächelnde Mädchen, und ärgerte sich einen Moment lang flüchtig, daß er sich so zurückgehalten hatte, wo es auf einen Skandal mehr doch nicht angekommen wäre.
    »Für einen gescheiterten Spekulanten gibt es zwei Möglichkeiten«, fuhr Martin unerbittlich fort, »die Kugel …« Er unterbrach sich. »Schon gut, das liegt Ihnen nicht, und es kann auch niemand von Ihnen verlangen. Die Möglichkeit Nummer zwei ist der Staatsanwalt. Ein freiwilliges Geständnis vor dem offenen Bankkrach. Tätige Reue nennt man das, nicht wahr? Man wird es Ihnen anrechnen, Wagenknecht, mit ein, zwei Jahren Strafminderung …« Er wandte sich wieder an Schiele und fragte ohne Betonung: »Steht eigentlich Zuchthaus oder Gefängnis darauf?«
    Wagenknechts Gesicht wurde rund und rot, sah aus wie ein Luftballon, der gleich platzen mußte.
    »Was reden wir lange?« fragte Ritt kalt. Er reichte Dr. Schiele ein Blatt mit handschriftlichen Notizen. »Erledigen Sie das bitte für mich.«
    »Wollen – wollen Sie mir helfen?« fragte der Bankier dumpf.
    Er erhielt keine Antwort, ruderte mit den Armen wie ein Nichtschwimmer und fragte hastig:
    »Und zu welchen Bedingungen?«
    »Bedingungen stellen wir«, versetzte Martin kalt. Er nickte seinem Opfer zum Abschied zu, und während er ging, schlug das Spiel seines Gesichts um wie das Wetter im April.
    Er sah nicht mehr hungrig aus, jagend und gejagt, sondern wie ein schlauer Landmann, der sein Suppenhuhn im Sonntagstopf weiß.

VI
    Bettina begegnete Martin mit betonter Freundlichkeit. Sie trug einen übergroßen Hut zu einem eleganten Straßenkostüm. In den letzten Jahren war sie ihrem ersten Mann ein paarmal begegnet. Man grüßte sich aus der Ferne, die zu verringern keiner der beiden Neigung gezeigt hatte.
    Den überraschenden Anruf Martins maß Bettina der politischen Position ihres zweiten Mannes zu, der als Exponent des Bankgewerbes der sachliche Gegner des hochgeschossenen Finanzmaklers war; sie hatte das Feuer natürlicher Feindschaft noch geschürt, um Martin zu zwingen, sie um Fürsprache

Weitere Kostenlose Bücher