Die wilden Jahre
Schläfen wie spitze Steine, und vor seinen Augen tanzten kleine Funken, als er bei Rotlicht über die Kreuzung jagte.
»Passen Sie doch auf, Sie Idiot!« schimpfte Silbermann.
Ein Polizist pfiff auf seiner Trillerpfeife hinter dem Wagen her; andere Autofahrer hupten unwillig, aber Felix war schon auf der breiten Ausfahrtsstraße, deren Bäume mit den leeren Ästen dastanden wie stumme Ankläger. Sie hätten sich, überlegte Felix in wildem Zorn, vorzüglich dazu geeignet, Birnenköpfe an ihnen aufzuhängen, aber Narren wie ich haben es versäumt.
»Dann gebe ich Ihnen noch einen guten Rat«, sagte Silbermann, »verschwinden Sie aus Deutschland.« Seine prallen Hände schlugen freudig auf die üppigen Schenkel. »Wenn die Bombe hier hochgeht – das wird ein Knall wie Donnerhall – Sie haben dann nichts mehr zu lachen.«
Felix schwieg, aber sein Fuß trat das Gaspedal. Der Motor heulte auf. Der Wagen schoß wie ein Pfeil nach vorn; er begann zu tänzeln, zu klappern, zu schwimmen. Silbermann fluchte.
»Fahren Sie doch langsam, Mann! Oder wollen Sie sich das Genick brechen?«
»Angst?« fragte Felix.
»Vor Ihnen?« antwortete der Birnenkopf.
»Früher doch wohl …«
»Die Zeiten sind vorbei. Spielen Sie doch nicht den starken Mann«, setzte er hinzu. »Euch kennen wir doch. Ihr seid doch feige, wenn's drauf ankommt. Oder nicht?«
»Wer?«
»Ihr Juden«, antwortete Silbermann, »sonst hättet ihr euch doch im Krieg nicht wie Schlachtvieh …«
»… von Metzgern, wie Sie einer waren«, entgegnete Felix.
»Ach, hören sie schon auf!« erwiderte der Birnenkopf. »Das hängt einem doch längst zum Hals heraus.« Er wollte die veränderte Situation genießen, aber die Worte fielen ihm nicht mehr aus dem Mund, als er merkte, wie der Opel, einen anderen Wagen überholend, auf ein Lieferauto zuraste und knapp an ihm vorbei wieder auf die rechte Fahrbahn kam.
Silbermann flog gegen die Fenstersäule, richtete sich benommen auf, wollte den Fahrer anbrüllen, aber da sah er sein Gesicht und schwieg erschrocken.
Felix spürte, mochte seinen Zorn. Der Alkohol hetzte die Geschwindigkeit. Es war wie ein Rausch. Als der Wagen an den Bäumen vorbeischoß, verneigten sie sich vor ihm. Er spürte die Wehen des Alkohols, die kamen und gingen, stark wurden und schwanden, um gleich wieder durch seinen verseuchten Körper zu züngeln wie Flammen im Wind.
Er sah zu Silbermann hin, warf ihm ein Taschentuch zu. »Wischen Sie sich die Stirn ab – Sie riechen nach Angst.« Er bemerkte, wie ihm der Birnenkopf willig folgte und demütig wurde, wie stets, wenn es an der Zeit war.
Während der Wagen ächzte und quietschte, ratterte und schaukelte, genoß Felix die Angst des Begleiters, kostete die Kraft und die Macht, den Wahn und den Frevel; er schoß auf der Achterbahn seines Lebens, hinauf und hinab, bei entfesselter Musik, der Todesschleife entgegen, Herr über sich und Silbermann, Obsieger des Alkohols, von der Zentrifugalkraft seines Lebens an den äußersten Rand der abschüssigen Bahn gepreßt, immer schneller, rasender, getrieben und treibend, ausgestoßen und verfolgt, verloren und heimatlos, auf der weiten Straße …
Felix starrte geradeaus, über die Straße hinweg, auf einen Hintergrund, den nur er sah, plötzlich überfallen von der Halluzination des Alkohols wie der Vergangenheit …
Sie quollen aus Gräben und Hecken, braune Horden mit wuchtigen Stiefeln. Sie machten den Tag zur Nacht, das Gotteshaus brannte, vor dem der Vater, Nathan der Weise, elend starb, gelyncht, zertrampelt, erschlagen …
Die Horde brüllte »Heil!«, rannte auf das Einfamilienhaus zu, schlug die Tür ein, riß Susanne von den Kindern weg, trieb sie mit Fußtritten voran, auf Silbermann zu, den Anführer, zu – »… verurteile ich Sie wegen Rassenschande!« brüllte der Birnenkopf.
»Jawohl!« grölte die Meute.
»– Ausstoßung aus der Volksgemeinschaft!«
»Heil!« heulte der Pöbel.
»– Zum Tod auf dem Scheiterhaufen!«
»Jawohl!« schrien die Braunhemden.
»– Und auch die Brut wird ausgerottet!« tobte Silbermann.
»Und das«, er steigerte die Stimme, »ist der Tag der Endlösung!«
Vom Scheiterhaufen loderte die Flamme steil nach oben, Susanne, von brutalen Armen gezerrt, drehte sich verzweifelt nach Felix um, der abseits stand, gefesselt durch die Untätigkeit, von Kopfschmerzen gefoltert, ins Leere starrend …
Auf einen Hintergrund, der wieder zur belebten Straße wurde.
Felix spürte keine
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