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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Schritt für Schritt quer durch die Halle, an Gästen vorbei, die nicht auf ihn achteten, gab an der Rezeption Susannes Telefonnummer an und wartete in der Kabine auf die Verbindung mit München.
    Die Vorwahlnummer war belegt.
    »Bleiben Sie bitte am Apparat«, sagte die Telefonistin, »ich versuche es gleich noch einmal.«
    Die Zelle war überheizt, die Luft verpestet vom Zigarettenrauch des Vorgängers. Felix riß die Tür auf und hielt sich an der Klinke fest, spürte die Übelkeit in seinem Magen, versuchte sie niederzuhalten, atmete schwer.
    »Bitte melden«, forderte die Telefonistin auf.
    »Su-Susanne«, sagte Felix angestrengt.
    Ein piepsender Ton war die Antwort.
    »Der Teilnehmer spricht gerade«, schaltete sich das Mädchen vom Amt wieder ein, »bitte warten.«
    Die Zelle drehte sich wie ein herrenloser Kahn auf einer Stromschnelle. Das Wasser schlug nach links, nach rechts. Felix hielt sich fest, obwohl es zwecklos war und das Boot dem Strudel zutrieb. Er zog die Tür zu, stemmte sich gegen die Wand der Kabine, aber der Sog war stärker, ziehender. Die Übelkeit erreichte die Speiseröhre, kletterte unaufhaltsam hoch.
    »Sprechen bitte«, bat die helle Mädchenstimme.
    »Susan-ne«, rief Felix. Der Schall zerhackte ihren Namen in Silben, »Su …«
    »Felix«, antwortete die junge Frau; sie hatte seinen Zustand sofort erfaßt. »Felix, wo bist du? Felix!« drängte sie. »Frankfurt …«, lallte er noch, dann fiel ihm der Hörer aus der Hand, baumelte an der Schnur. Er wollte ihn wieder hochziehen, es mißlang. Er versuchte, aus der Kabine zu gehen … Die Angst lähmte ihn.
    Ein Hotelboy sah die untauglichen Versuche, zögerte, kam dann heran und fragte: »Kann ich etwas für Sie tun, mein Herr?«
    Er nahm sein Taschentuch und trocknete das schweißnasse Gesicht des Mannes aus New York, öffnete die Krawatte, das Hemd, stützte Mr. Lessing – ein Lehrling noch, der heute sein Gesellenstück bestehen wollte: lautloses Verbergen einer betrunkenen Person.
    Es waren nur ein paar Meter bis zum Lift; der Boy stützte, zog und schleppte den Gast, fuhr ihn im Lift hoch, schaffte ihn in sein Appartement, legte den Willenlosen auf das Bett, zog ihm die Schuhe aus und befeuchtete die Stirn mit einem nassen Handtuch.
    »Soll ich den Hotelarzt rufen?« fragte er.
    »Nein«, antwortete Felix. »Gleich … gleich vorbei.«
    »Wenn Sie mich brauchen …« erwiderte der Junge und schickte sich an, das Zimmer zögernd zu verlassen.
    Felix lag nicht lange; er erholte sich, von einem Gedanken gejagt: Auf zu Susanne! Er hielt seinen Kopf unter die Wasserleitung, ließ sich die Hotelrechnung geben und das Gepäck in den Leihwagen schaffen. Er übergab sich, fühlte sich befreit, befreit auch vom Alkohol, wusch sich den Mund aus, als reinigte er die Sucht von den Zähnen, und redete sich ein, noch einmal davongekommen zu sein.
    Felix erreichte den Wagen, in den das Gepäck inzwischen geladen war, setzte sich an das Steuer, ließ den Motor an und wartete, bis er regelmäßig lief.
    Gerade als er anfahren wollte, kam Silbermann; Felix sah, wie der Birnenkopf winkend auf ihn zuhastete und sich vor den Kühler stellte, um den Wagen aufzuhalten.
    Hinweg mit ihm, dachte Felix, übermannt vom Zorn, fort mit ihm, mit allen, deren Verbrechen vergessen sind; er trat das Gaspedal durch.
    Der Wagen machte einen Sprung auf den Verhaßten zu. Dann hielt er schwankend. Die Handbremse war angezogen, hatte den Motor abgewürgt; während Felix erschöpft mit seiner Unbesonnenheit haderte, sprang der Birnenkopf an die Seite, riß die Tür auf, die unverschlossen war, und schrie dröhnend: »Sie kommen mir nicht aus, Herr Lessing! Sie nicht! Da kennen Sie mich schlecht.« Er lachte trocken. »Sie haben mich einmal überfahren im Leben …«
    Er stieg ein und schlug die Beine übereinander, lehnte sich zurück, zwinkerte Felix zu.
    »Fahren Sie, wohin Sie wollen. Ich habe Zeit, und Sie werden sich überzeugen lassen, daß …«
    Felix wußte, daß er Silbermann nicht los würde, ließ den Motor wieder an, löste die Handbremse, reihte sich ein in den Strom des Verkehrs, der zu Susanne führen mußte, vergaß den Birnenkopf, den Alkohol, den Haß und die Angst, ein Musterschüler des Verkehrs, der nicht auffallen wollte.
    Susanne hatte in München stille heitere Tage erlebt und sich darauf gefreut, daß Felix bald kommen würde. Sie kannte ihren Mann, vor allem, wenn er Heimlichkeiten vor ihr haben wollte. Sie verdarb ihm die Freude daran

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