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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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der Karosserie, auf das die Flammen übergriffen, war von der Wucht des Zusammenstoßes plissiert.
    Die beiden Männer in dem Lkw, die eben noch halsbrecherisch von einem alten Opelwagen überholt worden waren, sahen die Feuersäule gleichzeitig.
    »Mann«, fluchte der Fahrer im Overall, »muß der Kerl besoffen gewesen sein.« Er beschleunigte das Tempo. »Besoffen am hellen Tag.«
    Vor der Unfallstelle bremste er seinen Lastwagen jäh ab. Die beiden Männer sprangen heraus und liefen auf die Trümmer des Wagens zu, aus denen der Qualm senkrecht nach oben stieg. Ihre Augen tränten. Sie benutzten Taschentücher als Rauchmasken und kämpften sich, trotz Gefahr und Hitze, zu dem zerschmetterten Wagen heran. »Der ist hinüber«, sagte der Mann im Overall, »laß ihn liegen.«
    »Mensch«, schrie der Kollege mit grünlichem Gesicht. »Der sieht aus wie im Krieg.«
    »Quatsch keine Opern«, rief ihm der Fahrer zu, »hol den Wagenheber! Der andere rührt sich noch, los!«
    Sie hämmerten wie besessen gegen die verklemmte Tür. Sie wußten, daß der Benzintank explodieren konnte, wollten aufgeben, versuchten es, hustend, spuckend und fast blicklos, ein letztes Mal.
    Krachend gab das Wrack nach. Zu zweit rissen sie den Verletzten vom Sitz, schleppten ihn weg, betteten ihn ins Gras.
    In der Ferne heulte die Sirene eines Polizeiwagens, der mit Blaulicht in wilder Fahrt über die Autobahn jagte, um vierzehn Uhr sechs, wie der Beamte, der einen Ambulanzwagen bestellte, per Sprechfunk in das Polizeipräsidium meldete – eine knappe Minute zu spät.
    Zu dieser Stunde merkte man in Rom bereits, daß das Wetter umschlagen würde. Eva und Martin hatten in einer kleinen Trattoria gegessen und gingen auf Umwegen in ihr Hotel zurück.
    »Ich glaube«, sagte Martin, »wir verlängern die Zeit in Rom noch um einen Tag.«
    »Kannst du das?«
    »Fragst du mich?« antwortete er lachend. »Es ist schlimm mit dir, Hexe: Schiele schreit nach mir, Maman will mich sehen, meine Tochter hält ungeduldig Ausschau, meine Feinde halten Heerschau – und ich halte deine hübsche Hand.«
    »Also fliegen wir morgen zurück?« entgegnete Eva.
    »Vielleicht auch erst übermorgen – oder in der nächsten Woche – oder überhaupt nicht mehr. Ich werde an nichts denken. Und wenn ich wieder in Frankfurt bin …«
    »… ein ruinierter Mann sein«, ergänzte Eva, »der seine Firma verlor, nur noch seiner Gesundheit lebt und sich beim Konkursverwalter jeden Freitag ein Zehrgeld abholt, um nicht zu verhungern.«
    »… und von einer Frau namens Hexe verlassen wurde.«
    »Du kennst mich erst kurz«, erwiderte Eva, »aber du kennst mich gut.«
    Der Lift funktionierte nicht. Sie lachten und gingen die Treppen hinauf. Eva mußte vorausgehen, damit Martin ihre Beine bewundern konnte. Er streichelte sie, hielt die Fesseln fest; sie kamen ins Straucheln, schalten sich zärtlich und wiederholten ihre Albernheiten.
    »Laß dich anschauen«, antwortete er und spürte, wie die Erfüllung wieder zum Begehren wurde, Begehren zu jeder Zeit und an jedem Ort, Durst an der Tränke, Hunger im Schlaraffenland.
    Sie wollten den Empfangschef umgehen, aber der Mann hatte sie gesehen und ließ es nicht zu. »Signor Ritt«, rief er mit wichtiger Miene schon von weitem, »Sie wurden dauernd aus Frankfurt verlangt.«
    »Domani«, erwiderte Martin und ließ ihn stehen.
    »Und die Post?« rief ihm der Empfangschef nach.
    » Dopodomani.«
    »Außerdem ist ein Telegramm für Sie eingegangen«, sagte der Mann und reichte dem Gast eine gelbe Depesche.
    Martin wollte sie in die Tasche stecken, riß aber dann den Umschlag mit unwilliger mechanischer Geste auf. Eva, die vorausgegangen und stehengeblieben war, sah, wie sich Martins Gesicht im plötzlichen Schmerz zusammenzog, schroff, hart, böse wurde, das Gesicht eines Verwundeten, der leugnen möchte, verletzt zu sein.
    Sie ging erschrocken weiter, Martin allein lassend, der es nicht merkte. Eva erreichte ihr Zimmer und überlegte, was einen Mann wie ihn so schwer treffen konnte. Die Mutter vielleicht?
    Als Martin ein paar Minuten später anklopfte und eintrat, hatte er seinen Zügen einen gleichmütigen, oberflächlichen Ausdruck und seiner Stimme einen festen falschen Klang aufgezwungen.
    »Mein Freund ist verunglückt«, sagte er, »und schwer verletzt. Wir müssen leider sofort zurück.«
    »Natürlich«, antwortete Eva.
    Sie sprachen nicht miteinander, als sie zum Flughafen fuhren. Der Pilot erwartete sie bereits und sagte, daß

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