Die wilden Jahre
er den Kurs ändern müsse, da sich über Oberitalien eine Schlechtwetterzone bilde.
»Wir haben keine Zeit«, erwiderte Martin, »also hindurch.«
Während die Maschine quer durch das Unwetter gehetzt wurde, flatterten ihre Tragflächen wie Gänseflügel; sie schaukelte, sackte durch, wurde aufgefangen, und Eva sah, daß jetzt auch der Pilot Martins einen verkniffenen Mund hatte.
Die Bodenstation meldete sich mit quäkender Stimme.
»Eine Nachricht für Sie, Herr Ritt«, sagte der Pilot und reichte Martin eine FT-Haube.
Eva spürte Angst; wie unter Zwang betrachtete sie Martin von der Seite, erschrocken über seine übersteigerte, maßlose Selbstbeherrschung.
»Wir haben jetzt Zeit. Sie können dem Unwetter ausweichen«, schrie Martin dem Piloten zu – und Eva wußte, daß diese beiläufigen Worte das Requiem für Felix waren.
DRITTER TEIL
Treibjagd
I
Die Nacht hatte strengen Frost gebracht, der Morgen gähnte unwirsch, verhängte die Straßen mit dichten Nebelwänden, überzog sie mit Glatteis. Die Autos rollten so langsam, als schlichen sie, ihre Radioantennen sahen aus wie Fühler, mit denen sie sich weitertasteten. Auf dem Lufthafen Wahn war an dem winterlichen Märztag, der die Aktionäre des ABC-Konzerns nach Köln gerufen hatte, der Flugverkehr wegen der schlechten Sicht eingestellt.
Generaldirektor Nüsslein wertete die häßliche Witterung als ein gutes Zeichen und setzte darauf, daß sie vor allem die Kleinaktionäre von der beschwerlichen Reise nach Köln abhalten würde. Der korpulente Mann verblüffte durch flinke Bewegungen, wendig wie ein Tanzbär; als leitendes Vorstandsmitglied spielte er die Rolle des Hausherrn.
Die meisten Aktionäre zeigten die gelassene Haltung von Männern, die wissen, was sie haben: ABC-Papiere gehörten zu den Raritäten der Börse und waren wieder in festen Händen, nachdem sich im ersten Fieber der Spekulation die Interessenten um sie gerissen und die Kurse in Rekordhöhe getrieben hatten. Seitdem wurden sie an der Börse steigend notiert – kontinuierlich, nicht sprunghaft –, weshalb sie kaum mehr den Besitzer wechselten.
Präsident Drumbach, Vorsitzender auch des ABOAufsichtsrats, hatte es leicht gehabt, sich unerwünschter Käufer zu erwehren; die Bewegung der Papiere war von ihm sorgfältig beobachtet worden. Die Versammlung mußte gegen Störversuche von außen abgeschirmt werden: hinter dieser Maßnahme stand auch Nüssleins Verdacht, daß Martin Ritt mit Hilfe von Strohmännern einen Anschlag auf die Geschäftspolitik des weitverzweigten Versicherungskonzerns verüben könnte, um künftig selbst ABC-Gelder im Reigen der Rotation kreisen zu lassen.
Eine neuerliche Attacke des verhaßten Außenseiters zu verhindern, war für Drumbach mehr eine Frage des Prestiges als der Notwendigkeit. Der wirtschaftsrechtliche Ausschuß mahlte langsam, aber er mahlte, was ihm die Exponenten konventioneller Geldinstitute an Körnern vorwarfen.
Das Ergebnis stand fest, nicht der Termin seiner Verkündung; schon wurde öffentlich das neue Gesetz erörtert; und der unbeliebte Ritt selbst schien zu wissen, daß die Zeit seiner gewagten Ränke vorbei sei.
Es war seit einigen Monaten still um den umstrittenen Finanzmak1er geworden, still um seine Pläne, Käufe, Auftritte, Affären und Aussprüche. Selbst die Klatschspalten der Zeitschriften, die auf die Eskapaden dieses Einzelgängers abonniert waren, strickten nicht mehr weiter an der Ritt-Legende, als sei ihnen das Garn ausgegangen.
Er habe sich nach dem tödlichen Unfall seines Freundes in ein Versteck zurückgezogen wie ein verwundeter Elefant, wurde behauptet; man winkte ab in der City; Freundestreue hatte keinen Börsenwert. Ritts Mutter sei schwer erkrankt, und er kümmere sich nur noch um sie, war zu vernehmen; keiner glaubte es, denn häufig hatte er durch solche Fürsorge geblufft. Er sei wegen pekuniärer Schwierigkeiten in eine prekäre Lage geraten, hatte man sich zugeraunt; auch diese Hoffnung war schon oft kolportiert worden, als daß man noch ernstlich an sie glauben wollte.
Da Martin Ritt selbst seit einiger Zeit nur dadurch von sich reden machte, daß er nichts mehr hören ließ, gab man es allmählich auf, Fragen zu stellen, sich der Haltung Drumbachs anschließend, der immer an Informationen, aber niemals an Gerüchten interessiert war.
Kenner wußten, daß der Finanzmakler – hatte die Lex Ritt erst den Bundestag passiert – an einer Kette liegen würde, die es ihm allenfalls ermöglichte,
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