Die wilden Jahre
sich als Partner des bedauerlichen Wagenknecht mit einer kleinen Privatbank durch kümmerliche Geschäfte zu ackern. Drumbach, längst bei wichtigeren Dingen, war eigentlich nur darauf bedacht, kurz vor Toresschluß nicht noch einmal von blamablen Schlagzeilen überschüttet zu werden.
Obwohl sein Handlanger Nüsslein begriffen hatte, daß die Rechnung mit dem Wetter nicht aufgehen würde, da schon jetzt fast doppelt so viele Aktionäre eingetroffen waren als bei der letzten Hauptversammlung, blieb er jovial und geduldig. Weiterhin schwamm in seinem runden Gesicht rosig der Optimismus, während er jeden Ankömmling begrüßte, als hüte er eigens für ihn die Tür, ein Meister überzeugender Unverbindlichkeit, der umsichtig anordnete, die Delikatessen des kalten Büffets zu ergänzen, wiewohl sie reichlich bemessen waren.
Dieser Manager war Drumbachs Musterschüler, aber was den Umgang mit den neuen Aktionären betraf, konnte der Präsident, der zur Herablassung neigte, Fragen nicht mochte, Widersprüche haßte und Laien verachtete, von ihm lernen. Nüsslein wußte, wie leicht Kleinaktionäre, diese Mikroben der Gesellschaft, zu Mimosen werden konnten, während es Drumbach, dem Beherrscher vieler Aufsichtsräte, schwerfiel, sich nicht erkennbar an das Witzwort eines bekannten Bankiers zu halten, Aktionäre seien dumm und frech: dumm, weil sie ihr Geld anderen anvertrauten, frech, weil sie auch noch Dividenden dafür haben wollten.
Nüssleins Wohlwollen erlaubte sich keine Variationen, ob er, wie soeben einen älteren Mann, der wie ein Werkmeister im Sonntagsanzug wirkte, oder den jungen Mann in der patinierten Lederjacke oder Repräsentanten einer Großbank oder die heitere Männerrunde erstmals anwesender Aktionäre begrüßte, die mit einem Kleinbus zur Hauptversammlung wie ein Kegelclub zum Himmelfahrtsausflug gekommen war.
Schon nach dem Händedruck decouvrierten sich alle, die Gäste hatten sich als Aktionäre auszuweisen; auf der Präsenzliste mußte neben ihrem Namen auch die Höhe ihrer Anteile genannt werden. Obwohl es sich um den Thing-Tag eines seriösen Konzerns handelte, erinnerte die Prozedur ein wenig an die Usancen einer privaten Spielhölle, bei der der Veranstalter zunächst einmal sicherheitshalber die Brieftaschen seiner Besucher auf den Tisch legen läßt.
Die Türen wurden geschlossen, die Mitglieder des Aufsichtsrats, in ihrer Mitte Drumbach, nahmen am ovalen Vorstandstisch an der Stirnseite des Saals Platz, unter einem bunten Mosaik, Ritter Georg darstellend, der mit gezückter Lanze wider das Untier vorgeht. Der Kunstwert des Werkes war umstritten, nicht der Gehalt des Symbols: der Ritter verkörperte die ABC-Versicherung, die tapfer wider den Drachen stritt, wider Krankheit, Not und Tod, Feuersbrunst und Hochwasser.
Nüsslein merkte erfreut, daß der Präsident einen guten Tag hatte. Drumbach stand auf, brachte eine Bewegung zustande, die man für eine Verbeugung halten mochte, und sagte: ›Verehrte Versammelte‹ – er wartete die Stille ab –, »die Geschäftslage unserer Aktiengesellschaft ist blendend, und damit wäre eigentlich schon alles klargestellt, was heute zu sagen ist.« Gedämpftes Lachen folgte diesen Worten, gediegener, mehr als höflicher Beifall ging durch den Raum, als der Sprecher des Aufsichtsrates hinzusetzte: »Aber Sie haben selbstverständlich ein Recht, ein wenig mehr über die Entwicklung des ABC-Konzerns zu erfahren.«
Drumbach ließ den Jahresbericht von einem Manuskript ablesen und beschränkte sich auf Marginalien. Seine Erklärungen blieben knapp, exakt, darauf gerichtet, die Tagesordnung – Jahresabschluß, Gewinnverteilung, Entlastung des Vorstands, Neuwahl des Aufsichtsrats – glatt wie immer über die Bühne zu bringen, auch wenn vor Jahren durch den Siegeszug der Wertpapiere eine gewisse Besitzstreuung eingetreten war.
Eine Handbewegung begrenzte den Applaus. Die Neulinge der Versammlung ließen den Blick nicht von Drumbach; sie sahen einen schlanken Mann mit einem Cäsarenhaupt in einem meisterlich geschnittenen Anzug; sie hörten einen Wirtschaftsführer, der so deutlich sprach, als habe er Schauspielunterricht genommen. Sie erlebten den vielgenannten Präsidenten wie einen berühmten Dirigenten, den selbst noch Unmusikalische feiern.
Drumbach hatte seine Zuhörer im Blick, seine Zahlen im Kopf, seine Gefolgschaft in der Hand. Neben Fachleuten saßen Debütanten, unschwer zu erkennen an den zu aufmerksamen oder an den zu schläfrigen
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