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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Mienen, an zu feiertäglicher oder an zu salopper Kleidung oder daran, daß sie in den Pausen zuviel und in den Diskussionen zuwenig redeten.
    Die Experten waren einander aus vielen Gremien freundschaftlich verbunden, und Vorstände, deren Wirken heute zu richten war, waren morgen wieder als Aufsichtsräte die Kontrolleure ihrer Richter – kein Leerlauf, ein Kreislauf, einträchtig und geölt; hier wußte die rechte Hand sehr wohl, was die linke tat.
    Die wilden Jahre hatten die Börse mit neuen Käufern überschwemmt, bevor noch der Staat daran gegangen war, die Volksaktie zu propagieren, um mittels Besitz Habenichtse in Bürger zu verwandeln. Sparer, von zwei Inflationen um ihre Papiermark gebracht, hatten zum Wertpapier gegriffen; die Industrie förderte diesen Trend, weil sie flüssige Mittel brauchte; die Banken animierten ihre Kunden zum Kauf und sammelten das Stimmrecht der kommerziellen Novizen im Depot.
    So konnten alle Beteiligten mit der Entwicklung zufrieden sein, wenn auch nicht zu verhindern war, daß sich unter den Kleinaktionären Wichtigtuer, Querulanten, Demagogen und andere Unbefugte einfanden, denen der Zutritt zur Hauptversammlung nach den Satzungen nicht verwehrt werden konnte.
    Drumbach merkte, daß er von diesen Elementen offensichtlich verschont blieb; es beflügelte ihn. Er hatte ein sicheres Gehör für Stimmungen und fühlte befriedigt, daß über den Köpfen der Versammelten die Zufriedenheit wie eine seidige Wolke schwebte, spürbar, wenn auch unsichtbar.
    Es schien dem Sprecher die Bemerkung angebracht, daß der Konzern seine Tätigkeit ausgebaut, seinen Umsatz gesteigert, den Wert der Aktien erhöht und die Höhe der Dividende gehalten hatte. Gewiß gab es Undankbare; Opposition konnte nicht von Fachleuten, sondern von Spekulanten kommen, die einmal in Monaten mehr gewonnen hatten, als sie in Jahren erarbeiten konnten, und nunmehr erwarteten, daß es so weiterginge. Für sie hatte sich der Präsident vorsorglich ein paar massive Anwürfe im Manuskript zurechtgelegt; er sparte sich den unnötigen Tadel.
    Viele Zuhörer konnten nicht mitreden, weil sie die Geheimsprache der Paragraphen nicht verstanden, und manche Kleinaktionäre waren wohl auch nur erschienen, um sich am Besitzerstolz und am kalten Büffet zu laben.
    »Verehrte Versammlung«, kam Drumbach zum Schluß, »so liegen die Dinge – und sie liegen gut.« Der Präsident ließ zu, daß der Applaus anschwoll, und blieb artig am Pult stehen. »Nach unseren Satzungen hat Entlastung und Wiederwahl …«, erst nach ihm wagten die Versammelten über den Lapsus zu lachen, »natürlich meine ich: Neuwahl – eine allgemeine Aussprache vorauszugehen. Der guten Ordnung halber bitte ich, die Wortmeldung schriftlich beim Sekretariat abzugeben. Inzwischen bittet uns, wie ich höre …«, sein Gesicht wandte sich dem Angesprochenen zu, »Herr Nüsslein zu einem kleinen Imbiß.«
    Zunächst lockten die ausgesuchten Leckerbissen vergeblich; ein Teil der versammelten Herren war zu übersättigt, der andere zu schüchtern, um zum opulenten Tisch zu gehen, aber dann sprach sich selbst unter Verwöhnten herum, wie trefflich das kalte Büffet angerichtet war; nach und nach fanden sich immer mehr Liebhaber ein, zumal Nüsslein auch einen trockenen Sekt kredenzen ließ. Man lobte die noble Einladung, obwohl man letztlich bei sich selbst zu Gast war.
    »Was ist das?« fragte Drumbach den lukullischen Arrangeur belustigt, »eine Aktionärsversammlung, ein Richtfest oder ein Almabtrieb?«
    »Was es auch sei«, antwortete Nüsslein, »jedenfalls kommen wir ohne Widerrede …«
    »… zumal es sich«, der Präsident wies auf die Schlemmer im Nebenraum, »mit vollem Mund schlecht reden läßt.«
    Ein paar Wirtschaftsjournalisten standen in der Nähe; sie verneigten sich der Reihe nach, einer von ihnen wurde durch Drumbach mit Handschlag begrüßt und entfernte sich dann mit den strammen Schritten des dekorierten Soldaten.
    Der Präsident zog Nüsslein in eine Ecke. »Sie haben gut vorgearbeitet. Ich bin mit Ihnen sehr zufrieden«, sagte er, »nicht nur heute.« Er setzte mit dem Gesicht eines Geizhalses, der Lob verschwendet, hinzu: »Bei nächster Gelegenheit werde ich Sie in den Aufsichtsrat meines eigenen Hauses …«
    Stillschweigend wurde die Pause verlängert; dann rief der Gong zur Debatte, die in den gewohnten Bahnen verlief, ohne sich zu verlaufen: Fragen, die gestellt wurden, klangen wie Antworten, Erwiderungen wie Verheißungen. Nach

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