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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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einer knappen Stunde lag der Disput in den letzten Sätzen, und im Raum herrschte eine zufriedene, wenn auch lustlose Atmosphäre, ähnlich wie in einem Fußballstadion, in dem der Lokalfavorit kurz vor dem Schlußpfiff haushoch führt.
    »Da keine Wortmeldungen mehr vorliegen«, stellte Drumbach mit Nachdruck fest, »können wir wohl die Aussprache schließen und sodann zum nächsten Punkt der Tagesordnung übergehen: Entlastung des Vorstandes und …«
    »Herr Präsident«, rief ein aufgeschlossener junger Mann, dessen Wildlederjacke hier wie ein rotes Tuch wirkte, »noch eine Frage!«
    »Ja, bitte«, gewährte der Vorsitzende; selbst im Umgang mit Straßenjungen blieb er ein Herr.
    »Warum schüttet der ABC-Konzern keine höheren Gewinne aus als die Konkurrenz, die kleinere Umsätze hat?«
    »Weil die Geschäftsleitung auch an die nächsten Jahre denkt«, erklärte Drumbach beherrscht. »Weil sie Rücklagen bildet, weil sie das Vermögen der Gesellschaft mehrt …« Mit Gefühl und Überzeugung proklamierte er: »Ihrer aller Besitz, meine Herren!«
    Beifall schien den Unverfrorenen hinwegzuschwemmen; aber er stand wie eine umspülte Insel, gleichmütig, provokant, der typische Vertreter einer Generation, die Drumbach für ungebildet, frech und aufsässig hielt.
    »Unsere Gesellschaft«, rief der Interpellant in die brodelnde Unruhe, »hat zwar der Zahl nach die höchsten Rücklagen, vergleicht man sie aber mit dem Marktanteil, dann …«
    »Verstehen Sie eigentlich etwas von den Dingen, über die Sie da sprechen?« unterbrach ihn der Präsident gereizt.
    »Nicht viel, aber …«
    »Dann sollten Sie sich solide Kenntnisse aneignen«, konterte der Vorsitzende, »dann sind Sie auf dem richtigen Weg und kommen voran im Leben, junger Freund.« Drumbach sprach leise, mit besänftigender Arroganz: »Ich stelle mich Ihnen gern zur Verfügung – in der Pause – oder nach Schluß der Versammlung.«
    Er kam dem Ausbruch der Heiterkeit zuvor: »Aber Sie verstehen, daß die anderen Herren zu sehr in Eile sind, als daß ich hier noch Nachhilfeunterricht …«
    Wieder riß der Redner den Beifall auf seine Seite; dem unbedarften Fragesteller noch einmal mit humoriger Tücke zulächelnd, versuchte er, mit der Tagesordnung weiterzukommen, und erlebte, nun ernsthaft gereizt, daß ihm ein offensichtlicher Ignorant, noch dazu im Habitus des Halbstarken, wiederum den Weg verstellte:
    »Wie kommt es, daß Sie meine Fragen nicht sachlich …?«
    »Wie kommt es, daß Sie sich nicht auf ordentlichem Wege – schriftlich – zu Wort gemeldet haben?«
    »Erstens«, rief der junge Aktionär, »bin ich erst jetzt auf meine Frage gestoßen. Zweitens möchte ich, bei aller Bescheidenheit …«, er lächelte infam, »darauf verweisen, daß es nach den Bestimmungen der Geschäftsordnung nicht nötig …«
    »Wollen Sie mich über die Geschäftsordnung belehren?«
    »Wenn es sein muß«, versetzte der junge Mann.
    Ein Ruck schadenfrohen Entsetzens ging durch die Versammlung. Während die Wirtschaftskapitäne in lauten Zurufen diese Ungeheuerlichkeit verdammten, genossen sie heimlich, daß der überlegene Präsident, dieser selbstherrliche Popanz, der oft noch nach Monaten die Namen seiner engeren Mitarbeiter nicht kannte, von einem dreisten Jungen in aller Öffentlichkeit verunglimpft wurde; sie schmückten in Gedanken bereits die Szene aus, die sie am Abend ihren Frauen, Freunden und Partnern schildern wollten, begehrlich verfolgend, wie Drumbach, vom Zorn übermannt, die Fassung verlor und dem Herausforderer mit hilfloser Anmaßung begegnete.
    Nüsslein war besorgt, aber vor Vergnügen atmete er schwer, und vom unterdrückten Lachen schwoll sein Gesicht; er wandte es vom Präsidenten ab, da er fürchtete, sich durch eine regelwidrige Miene zu verraten.
    »Ich verbitte mir«, sagte Drumbach mit verzerrter Stimme, »dieses ungehörige Benehmen.«
    »Ich verbitte mir ihre Art, mit einem Aktionär umzuspringen!« Der Mann in der Lederjacke hatte das feindliche Geschoß aufgefangen, zurückgeschleudert und dabei einen empfindlichen Nerv getroffen.
    Die Männerrunde, die mit dem Kleinbus gekommen war, ohnehin schon gut gelaunt, vom reichlichen genossenen Sekt in eine volksfestartige Stimmung versetzt, platzte laut heraus, zurückhaltende Aktionäre wurden angesteckt, die Spannung entlud sich, von der Fensterseite her breitete sich Gelächter aus, fraß sich wie Lauffeuer zur Saalmitte durch – und Drumbach sah ungläubig, daß er coram

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