Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
wirkliche Attentäter Martin Ritt hieß, und bat: »Herr Generaldirektor, würden Sie mir bitte bei der Beantwortung der Frage behilflich sein?«
    Mit Schärfe setzte er hinzu: »Falls noch jemand Auskünfte über die Portokasse wünschen sollte, dann bitte gleich …«
    Drumbach hatte den Fragesteller wieder mit schadenfroher Heiterkeit umzingelt; aber Guido Brenner schien es nicht zu merken und harrte stehend weiterer Antwort.
    »Leider sehe ich mich zu der Annahme gezwungen«, fuhr der Präsident fort, »daß Sie bösartig und vorsätzlich wegen einer Lappalie …«
    »Sagten Sie Lappalie?« fragte der Rebell und beugte sich nach vorn, als sei er schwerhörig. »Es handelt sich«, er sprach unmittelbar die Kleinaktionäre auf der Fensterseite an, die jetzt unschlüssig waren, wem sie sich zuschlagen sollten, »immerhin um Millionen – sogar um mehrere Millionen …«
    Drumbach sah, daß das Zauberwort gefallen war, verfolgte, wie der Köder der Habsucht die Friedlichen störrisch, die Braven gierig und die Besonnenen kopflos machte, sah, daß einer den anderen mit Mißtrauen infizierte, so daß keiner der Verwirrten mehr bedachte, daß sein Anteil an den zitierten Millionen allenfalls Pfennige betrug.
    »Ich bitte«, durchdrang Drumbachs Stimme das Durcheinander, »um eine kurze Unterbrechung, um die Unterlagen heraussuchen zu lassen. Sie sollen«, seine Augen richteten sich zur Fensterseite, wanderten von einem Unbekannten zum anderen, »nicht mit dem Eindruck nach Hause gehen, daß wir bei der Anlage unserer Gelder dümmer wären als andere.«
    Der Beifall, den Drumbach von allen Seiten erhielt, tarnte eine Niederlage durch einen guten Abgang. Sicher würde der vermutliche Strohmann Ritts die Pause zu wilder Agitation unter den neuen Aktionären nutzen; war aber der Schuldige der Machenschaften erst erkannt, hatte der Präsident nichts mehr zu fürchten. Intrigen verkümmern zu lassen, indem er ihnen den Nährboden entzog, war sein täglich Brot.
    An diesem Tag weilte der Mann, dessen Schatten über der Versammlung der ABC-Aktionäre in Köln zu lasten schien, noch immer in New York und rüstete nach einem wochenlangen Aufenthalt als Mentor Susannes, die er umsorgt, beraten und nach Amerika begleitet hatte, zur Entscheidung seiner Verhandlungen in der Wall Street.
    Er wohnte im Waldorf-Astoria, seine Mutter hatte das Nachbarappartement bezogen und tapfer die bedrängende, verwirrende, wimmelnde Stadt ertragen. Die winzige Frau und das riesige New York waren natürlich Gegensätze, und so lastete Manhattans berühmte skyline wie ein Alptraum in Zement auf der Französin. Ihre wenigen Ausgänge endeten in eiliger Flucht vor den Menschenfluten des Steinmeeres. Dieser Brückenkopf aus dem Jahr zweitausend mit seiner wahnwitzigen Tüchtigkeit, seinem rasenden Verkehr, seiner unerbittlichen Vitalität ängstigte Madame Rignier, deshalb blieb sie meistens im Hotel, geduldig auf Martin wartend, den sie mit Geschäften und einer jungen Frau teilen mußte.
    Der Abstand vom Leid, das über Susanne gekommen war, zählte erst Monate, aber sie hatte verstanden, es von Anfang an beherrscht zu tragen, nicht in der entmenschten, unnatürlichen Art Martins, sondern mit einer Fassung, in der unschwer auch die Härte des gewaltigen Landes zu erkennen war, das Susanne an sich gezogen, fasziniert und geprägt hatte.
    Noch bevor sich die erste Haut über der offenen Wunde bilden konnte, hatte sich Susanne vor ihre beiden Söhne gestellt, die es zu schützen galt. Ohne zu grübeln, stumm und stets von Martin unterstützt, nahm sie den Tod ihres Mannes als eine Endgültigkeit hin, gegen die es keine Auflehnung gab; sie fragte sich weniger, warum Felix untergegangen sei, als wie sie seine Söhne Nathan und little Martin vergessen machen könne, daß sie im Leben nie mehr einen Vater haben würden.
    Schon während der gräßlichen Zeremonie des Todes, bei der Trauerfeier und Einäscherung, war Susanne entschlossen, die Urne in das Land zu überführen, in dem sie künftig ihrer beiden Jungen wegen leben wollte, nach Amerika; sie ahnte, daß Felix zuletzt trotz allem als heimatloser Wanderer zwischen den Kontinenten zugrunde gegangen war, ein Mann, der weder Deutscher bleiben noch ein Amerikaner werden konnte. Dieses Schicksal wollte sie ihren Kindern ersparen.
    Martin verstand ihren Entschluß, in die Staaten zurückzukehren, obwohl er wußte, wie sehr Susanne an München hing. Er half ihr bei der Regelung des Nachlasses und bei den

Weitere Kostenlose Bücher