Die wilden Jahre
publico verlacht wurde.
Spätestens in diesem Moment erkannte der Präsident, daß ihm eine bescheidene Besitzverlagerung unter den Aktionären künftig andere Taktiken vorschreiben würde. Man kann zwar Direktoren mit Fußtritten traktieren, dachte er freilich, muß man aber Kleinaktionären hofieren?
»Meine Herren«, wandte er sich mit unterkühlter Stimme an das gemischte Publikum. »Es tut mir leid, daß hier versucht wurde, in einer Hauptversammlung einen Rummel zu inszenieren, aber«, seine Hände appellierten mit einer festen Geste an die Vernunft, »ich habe hier eingehend über unsere Geschäftslage berichtet, mit der Sie, glaube ich, zufrieden waren. Sie erhalten anschließend das Manuskript mit meinen Ausführungen. Für weitere Fragen stehen Ihnen Aufsichtsrat und Vorstand gern zur Verfügung.« Er zählte flüchtig die Köpfe, die ihm zunickten; es waren viele, und zügig fuhr er fort:
»Aber nunmehr wollen wir wirklich den Gang der Dinge nicht länger aufhalten. Einige Herren auf der Fensterseite darf ich noch belehren: eine Aktionärsversammlung ist – leider – kein Kabarett!«
Während einige der Angesprochenen erschrocken die Köpfe einzogen, da sie zwar gern in der Menge randalierten, aber ungern einzeln gestellt wurden, schoß der Junge in der Lederjacke wieder hoch:
»Doch auch kein Kasernenhof, Herr Präsident!«
Seine Anhänger hatten sich vermindert, aber der Rest reichte aus für einen Tumult. Der Sekretär am Vorstandstisch schwang die Glocke; ihr hektisch klagender Ton verlor sich im Lärm. Die Direktoren des Hauses sahen besorgt zu den Wirtschaftsjournalisten hin, die morgen – wie immer – über die Eintracht der ordentlichen Hauptversammlung berichten sollten.
»Ich bitte die Herren«, der Präsident war nun entschlossen, seine Autorität wie ein Schwert zu zücken, um den Aufsässigen mit einem Streich zu fällen, »die dafür sind, die Aussprache abzubrechen und wieder in die Tagesordnung einzutreten, die Hand zu heben.«
Die meisten folgten dieser Aufforderung sofort, während sich vom Fenster her wieder lärmende Opposition verbreitete, die Drumbach überhören wollte; aber der ältere Mann, den Nüsslein für einen pensionierten Werkmeister gehalten und der sich bisher an dem Getümmel nicht beteiligt hatte, sagte fest:
»So geht es ja nun auch nicht, Herr Präsident.«
»Unerhört!« riefen Drumbachs Vasallen.
Der Mann ließ sich nicht aus der Fassung bringen und fuhr fort: »Bis jetzt haben wir überhaupt nicht vernommen, um welche Frage es sich eigentlich dreht.« Der Mann erhielt Zustimmung und setzte hinzu: »Ich glaube, wir sollten beide Herren bitten, von nun an bei der Sache zu bleiben, damit wir die Debatte …«
Nüsslein gab es auf, zu verfolgen, wie der Zorn Drumbachs Hals blähte, so daß es aussah, als habe der Präsident, der so penibel auf sein Äußeres achtete, auf einmal einen Kropf. Der Generaldirektor glaubte noch immer, daß ein einzelner Querulant, keine dirigierte Gruppe, den Anschlag auf den Versammlungsfrieden verübte, aber er beschloß, feststellen zu lassen, wer der Junge in der Lederjacke war.
»Wer sind Sie eigentlich?« fragte fast gleichzeitig Drumbach.
»Ich heiße Brenner«, antwortete der junge Mann, »Guido Brenner.«
»Beruf?« inquirierte der Präsident weiter.
»Journalist.«
»Daher die Fachkenntnis!« verspottete ihn Drumbach und machte Lachende zu Überläufern. Er ließ dem Applaus Zeit zum Verebben und fuhr dann fort:
»Es ist nicht meine Schuld, daß hier unnötig Ihre und unsere Zeit vertan wird. Ich bin aber bereit, jede Frage zu beantworten, mag sie auch noch so – idiotisch sein. Ich bitte mir jedoch aus, daß sie wenigstens in einem erträglichen Ton …«
Bevor die Anhänger des Sprechers sein zeitraubendes Angebot zurückweisen konnten, war der Opponent wieder aufgestanden. »Idiotenfrage Nummer eins«, begann er mit einer ironischen Verbeugung. »Wie kommt es, daß beim ABC-Konzern die kurzfristig angelegten Gelder kaum einen Gewinn erzielen, während sie in den Bilanzen der Konkurrenz immerhin zwei bis drei Prozent ausmachen?«
Drumbach spürte aus der Frage, daß der Angriff gesteuert war; er ließ es sich nicht anmerken und gab sich wie ein Mann, der angestrengt nachdenken muß. »Der Posten, in dem Sie herumwühlen«, versetzte er in beleidigter Würde, »ist mir – verzeihen Sie bitte – zu klein.« Er wandte sich an Nüsslein, der es nun ebenfalls für sehr wahrscheinlich hielt, daß der
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