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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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er hörte aus den tönenden Bemerkungen unschwer den Vorwurf heraus, daß unter einem elastischeren, weniger überheblichen Präsidenten die Situation nicht so schlimm geworden wäre.
    Da er ihre Phrasen nicht quittierte, überboten sich manche, und Drumbach musterte sie, als wolle er sich ihre Gesichter einprägen. Er konnte sich eine Blamage verzeihen, weniger ihre Zeugen, und er würde es sie bei Gelegenheit entgelten lassen. Da sie es ahnen, dachte der Präsident, benehmen sie sich wie Klageweiber.
    »Schluß des Lamentos, meine Herren«, sagte er schließlich. »Uns ist ein Fehler unterlaufen, und wir sollten, statt zu jammern, dafür sorgen, daß es der letzte war.«
    »Die Handschrift Ritts«, warf Nüsslein ein, »vielleicht haben wir zu sehr auf einen potentiellen Käufer statt auf einen desperaten Demagogen geachtet.«
    »Ritt ist tot«, antwortete Drumbach knapp. Er sprach ruhig, aber vor Verachtung quollen seine Lippen. Sein Lächeln wanderte seitwärts, sein Mund wirkte wie ein Geschwür, das plötzlich platzte. »Er muß nur noch sterben.« Sein Gesicht wirkte wieder glatt und kühl. »Und das wird er, selbst wenn er es noch nicht wissen sollte.« Er unterband Akklamationen. »Darum geht es also nicht. Dieser Tag ist eine Wende, wir müssen uns auf die unseligen Zeichen der Zeit einstellen und künftig darauf gefaßt sein, nicht mehr unter Fachleuten im ruhigen Saal, sondern mit Jakobinern unter dem Druck der Straße zu verhandeln. Das soll nichts an den Ergebnissen ändern, wohl aber an unseren Methoden. Natürlich könnten wir diese Schreihälse mühelos überstimmen«, fuhr Drumbach fort, »heute. Aber ich denke bereits an die nächste Hauptversammlung, an die übernächste, und ich möchte mich nicht noch einmal solchen Szenen …«
    Der Präsident hatte selbst eben erst eine Lektion erhalten und dozierte bereits wie ein Lehrmeister, eine Meinung usurpierend, die er aus dem Munde Nüssleins immer zurückgewiesen hatte, wie es Drumbach auch nichts ausmachte, seine Fehler seinen Leuten vorzuwerfen, die den Tadel schluckten wie bittere Medizin, Patienten eines Wohlwollens, das am Leben bleiben sollte.
    »Denken Sie nur an die Geschichte in München«, erinnerte der Präsident, auf die Panne einer Automobil-AG anspielend, in deren Hauptversammlung vor kurzem Oppositionelle überraschend die Macht an sich gerissen und eine bereits beschlossene Fusion mit einem anderen Konzern hintertrieben hatten, die von den Sprechern der Banken als einzig möglicher Ausweg bezeichnet worden war. Der Konzern, selbständig bleibend, konnte auf eigenen Füßen stehen, so daß die Geschäftsentwicklung den Putschisten, deren Handstreich in der Öffentlichkeit stark beachtet worden war, auch noch recht zu geben schien. »Wenn wir es erst zu öffentlichen Krawallen kommen lassen«, erklärte der Vorsitzende des ABC-Aufsichtsrats, »macht das schlechte Beispiel Schule, und künftige Hauptversammlungen werden zu Querulantentagungen, und was das bedeuten würde …«
    Drumbach brauchte nicht weiterzusprechen, denn seine Zuhörer, Vertreter einer qualifizierten Minderheit, die die anonyme Mehrheit beherrschte, wußten, was ihnen lautlose Eintracht wert sein durfte.
    »Wer auch hinter den heutigen Störungen stehen mag«, schloß der Präsident, »ich werde die Sache in Ordnung bringen. Sie, Nüsslein«, befahl er, »übernehmen diese Burschen von der Presse. Ich möchte nicht, daß morgen auch nur ein Wort von dem Zwischenfall in der Zeitung …«
    Dann ließ Drumbach die Aktionäre bitten, wieder ihre Plätze einzunehmen.
    »Bevor ich zur Beantwortung der angeschnittenen Frage komme«, begann er, »muß ich einige allgemeine Erklärungen über die sogenannten Tagesgelder vorausschicken. Eine Versicherung kann über ihr Vermögen nicht frei verfügen, sondern unterliegt bei der Geldanlage bestimmten, vom Staat sehr sorgfältig kontrollierten Auflagen. Der größte Teil des vereinnahmten Geldes geht also den vorgeschriebenen Weg.« Der Präsident sprach unbeteiligt, als verlese er Satzungen: »Nun ist eine Versicherung bekanntlich ein Geschäft mit dem Risiko. Nehmen wir an, daß unvermittelt mehr Schadenfälle eintreten, als unsere Mathematiker vorausberechnet haben: für diesen Fall müssen wir gewappnet sein und Geld flüssig halten.«
    »Ich habe nicht bezweifelt, daß Barmittel nötig sind«, unterbrach Guido Brenner den Vorsitzenden, »sondern nach deren Anlage …«
    »Würden Sie mich bitte aussprechen lassen?«

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