Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
fragte Madame.
    »Sie hat gesagt«, übersetzte Martin lachend: »Voilà – un homme.«
    »Du gemeiner Kerl«, sagte Petra kurzatmig.
    Sie lachten beide; später gerieten sie auf dem Weg zum Lift mitten in die Gruppe der vier flüggen Internatsgänse. »Mein Rabenvater«, konnte Petra nicht umhin, vorzustellen; erneut stellte sie kesse Angebote glitzernder Augen und lockender Lippen fest, und Martin mit sich ziehend, ließ sie die Unverfrorenen unhöflich stehen.
    Erst am Abend vor seinem Abflug gestand Martin, daß er wegen dringender Geschäfte nach Frankfurt müsse; er hatte sich auf einen Wortschwall gefaßt gemacht und war betroffen, daß Maman und Petra wie auf Verabredung schwiegen. Erst später erklärte ihm die Mutter, daß sie in St. Moritz bleiben würde. Er verabschiedete sich von ihr, versprach, sie so bald wie möglich nachzuholen, und fuhr, um Petra abzuliefern, mit dem Wagen zum Internat, von wo aus er gleich zum Flugplatz weiter wollte.
    »Wann kommst du wirklich wieder?« fragte Petra.
    »Sobald es geht.«
    »Es wird nicht so bald gehen?«
    »Du wirst die ganzen Sommerferien bei uns an der Côte d'Azur sein«, tröstete er sie.
    »Auch nur auf Zeit«, erwiderte Petra. »So geht unser Leben weiter: kurze Gastspiele, hübsche Geschenke, >Guten Tag< und >Auf Wiedersehen < …«
    Martin, der Klagelieder nicht ausstehen konnte, ob sie berechtigt waren oder nicht, antwortete heftig: »Wer ist denn eigentlich in Frankfurt ausgerissen?«
    »Ich«, antwortete Petra, »und es mußte sein.«
    »Warum?«
    Sie schwieg, verbissen durch die Scheibe starrend. »Das fragst du mich erst nach drei Tagen«, entgegnete sie, »so sehr hat es dich nur interessiert …«
    »Es ist mir gleichgültig«, versetzte Martin. Er fuhr schneller, ohne es zu merken.
    »Ich weiß, daß du Schlemmer nicht magst«, sagte sie nach einer Weile, »aber er ist schließlich – mein Stiefvater …«
    »Bekannt«, erwiderte Martin schroff.
    »… und er hat sich um mich gekümmert, als zum Beispiel du – mein leiblicher Vater – keinerlei Anstrengungen …«
    »Krieg, Petra«, unterbrach er sie, »da hatte ich leider anderes zu tun.«
    »Und nach dem Krieg?«
    »Wünschte deine Mutter nicht, daß ich mich dir nähere. Ich hatte es ihr versprochen. Das war falsch – aber Bettina wollte es so.«
    Petra gab es nicht auf, die Straße anzustarren; und Martin merkte, daß sie seine Worte für erlogene Ausflüchte hielt. Es war ihm klar, wie falsch es in der Tat gewesen war, so lange zu schweigen, um Bettina zu schonen, was sie nun als Waffe gegen ihn ausspielte; und so nahm er sich vor, die Auseinandersetzung um das Kind auf die Spitze zu treiben und Petras Adoption durch Schlemmer anzufechten.
    »Du glaubst mir also nicht?« Er merkte, daß Petra, weiterhin trotzig, ihm keine Antwort geben wollte, und so schwieg auch Martin, wissend, daß sich ihm in der gespannten Stimmung des Abschieds überzeugende Worte versagen würden.

III
    Drumbach war zwei Tage vor seiner Vernehmung im Umlauf-Ausschuss in Bonn eingetroffen, dem Kalender ebenso vorauseilend wie der Frühling, der das Treibhaus bereits grünen und blühen ließ.
    Guido Brenner wohnte im selben, schlicht möblierten Hotel, das einem Teil der Bonner Prominenz als Vorzimmer diente; er hatte nach Drumbachs Ankunft ausziehen wollen, war ihm erschrocken auf dem Gang begegnet, hatte ihn verdutzt gegrüßt, war aber nicht beachtet, geschweige denn erkannt worden. Es schien dem Reporter typisch für diese seltsame Metropole zu sein, in der viele Bewohner mit schläfriger Wachsamkeit darauf achteten, nicht jene wenigen zu übersehen, die auf massierte Ergebenheit mit blasierter Verachtung herabblicken konnten.
    Guido war zum ersten Mal in Bonn und sah, wie schwer die frühere Pensionopolis, einstmals Deutschlands kleinste Großstadt, ihren Ehrgeiz büßen mußte: blühende Gärten hatten sich in wachsende Baustellen, idyllische Viertel in städtebauliche Ungetüme verwandelt, aus Straßen waren Angströhren, aus Bürgern Untermieter ihrer eigenen Stadt geworden; Bonn, seines Gesichts verlustig, trug eine ihm fremde Maske und den Titel Hauptstadt wie eine spöttische Redensart.
    Ein Kellner brachte einen Stapel Zeitungen, darunter den Tageskurier, Guidos eigenes Blatt; es zeigte auf der Titelseite einen Kanzler, dessen biblisches Alter nicht zu erkennen war, in gestelltem Gespräch mit einem vielgenannten Wirtschaftstitanen. Doch Guido griff nach den Wochenzeitungen, die wenig über

Weitere Kostenlose Bücher