Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
interessanten Teils.
    Der Chefredakteur, primus inter pares, unterbreitete das Manuskript der Redaktionskonferenz und ließ es in seinen wichtigsten Passagen vorlesen. Vor den Zuhörern entstand ein minuziöses Städtebild, von einem Autor gezeichnet, der zwischen Mitleid und Bosheit schwankte, aus dem Vordergrund gesehen, jedoch mit belichteten Hintergründen.
    Aus vielen Einzelheiten entstand das Panorama einer Metropole, wo sich der Duft der weiten Welt mit dem Dunst der Kleinstadt mischte; dazu der Alltag des Parlaments, der Lauf der Gesetzgebung, Glanz und Elend der Demokratie, ihre Pannen, ihre Stärken – und zuletzt die Anatomie einer Geburt, die Geburt eines Gesetzes: der Lex Ritt, die, scheinbar notwendig, auf scheinbar demokratische Weise entstehe und letztlich durch so etwas wie legale Korruption zustande komme …
    »Halt!« unterbrach der Chefredakteur die Lesung. »Der Anfang ist ausgezeichnet und findet wohl allgemeine Zustimmung.« Er überzeugte sich. »Diese Lex Ritt jedoch ist ein Problem.« Er wandte sich an die Wirtschaftsredakteure mit der Frage, ob Guido Brenner die fachlichen Hintergründe richtig erfasst habe.
    Die Kollegen antworteten, daß es fraglos ein Unding sei, wenn der heimliche Antragsteller eines neuen Gesetzes zugleich als offizieller Gutachter auftrete, eine unmögliche, wenn auch nicht gänzlich unübliche Praxis, die man freilich in den Dschungelkämpfen der Interessenverbände meist nicht beweisen könne. Ein Gesetz, das Ritts Rotations- Systemausschalte, sei vielleicht wirtschaftlich gerechtfertigt, in jedem Fall aber müsse die Art, in der es durchgepeitscht werde, als unkorrekt und bedenklich gelten.
    Es entstand eine heiße Debatte, die zu einer der längsten Konferenzen führte, die beim Tageskurier bisher abgehalten worden war. Die meisten Redakteure erklärten offen, daß sie Guidos Reportage ungeändert bringen würden, wenn nicht der dadurch geförderte Betroffene Teilhaber des Verlags wäre.
    Die Redeschlacht zog sich weit in den Mittag hinein und endete mit einer Kampfabstimmung, die Guido eine knappe Mehrheit einbrachte. Da das Blatt nunmehr entschieden hatte, die Hintergründe der Lex Ritt zu durchleuchten, sollte es auch eine große Sache werden. Guidos Bericht Bonn intim sollte mit einer Werbekampagne beginnen und mit einem kritischen Leitartikel der Wirtschaftsredaktion enden.
    Die Inside-Reportage aus der Bundeshauptstadt, in sieben Folgen vorgesehen, fand vom ersten Tag an reges Interesse, vor allem bei Lesern, die in Bonn lebten, so daß der Vertrieb des überregionalen Blattes die Stückzahl für die Auslieferung vorsorglich erhöht hatte.
    Guido begann ganz unpolitisch mit Geschichten aus einer Stadt, die Geschichte machen möchte. Von Diana war die Rede, der Rassehündin des US-Botschafters: sie hatte einen Fehltritt begangen und Bastarde zur Welt gebracht, die der tierliebende und vorurteilslose Diplomat an Bekannte und Untergebene weiterreichte; die Beschenkten bedankten sich für die bellende Gabe, die sie nicht haben wollten und doch so lange behalten mußten, bis der Botschafter aus Bonn versetzt würde.
    In der nächsten Folge schilderte die Serie ein Bankett beim Sowjetbotschafter, überreich an Kaviar und Krimsekt – die Russen beachteten am steifsten die Etikette und glänzten als großzügige Gastgeber –, bei dem niemand mit rechtem Appetit zu essen wagte außer den Agenten des Verfassungsschutzes, die beobachten sollten, wer sich allzu eifrig um das rote Büffet dränge.
    Für das dritte Kapitel bot Guido einen Leckerbissen aus dem Lesesaal eines internationalen Hotels, den plötzlich ein Farbiger mit nacktem Oberkörper betrat, der das Televisionsgerät unter den Arm nahm und mit der Bemerkung, als Minister und Staatsgast wolle er sich in Ruhe auf seinem Zimmer ein Fußballspiel ansehen, die verdutzten Fernsehzuschauer wieder verließ.
    Obwohl zunächst recht harmlose, mehr oder weniger lustige Episoden wiedergegeben waren, wurde, entsprechend dem Bonner Klima, die Zeitung meist heimlich gekauft und verstohlen gelesen. Bloß die Abgeordneten der Opposition zeigten sie offen.
    Dr. Umlauf hatte Bonn intim flüchtig angelesen; es schien ihm eine der häufigen Sottisen gegen das wehrlose Bonn zu werden, und so legte der Ausschußvorsitzende das Blatt mit dem gereizten Gedanken beiseite, diese Stadt sei auch wie geschaffen, Spott zu provozieren.
    Erst als die Serie im Ton schärfer wurde und immer deutlicher auf seinen Ausschuss zielte,

Weitere Kostenlose Bücher