Die wilden Jahre
Politik und Wirtschaft berichteten, da sie zumeist andere Helden hatten – mit Ausnahme eines Finanzmaklers namens Ritt.
Schlagzeilen rankten wie Unkraut: über Nacht war die Legende wieder aufgeblüht, wurde Archivmaterial aufgewärmt und das Leben eines gloriosen Mannes mit glänzendem Flitter behängt, Berichte, die am nächsten Tag, der schon wieder neue Anekdoten bot, in den Papierkörben der Zeitgeschichte endeten. Guido wußte nicht, was sein Auftraggeber mit diesem Unsinn bezweckte, aber von Dr. Schiele hatte er gehört, daß Martin mit ihm zufrieden sei.
Die seriösen Zeitungen hielten sich von dem Wirbel fern; neue Einzelheiten waren plötzlich da, scheinbar zufällig; aber es war sicher, daß der Mann, der im Mittelpunkt der Fama stand, den Rummel, wenn er ihn auch nicht selbst erzeugte, zumindest doch duldete.
Inzwischen war der Reporter nach München übergesiedelt und in die Redaktion des Tageskuriers eingetreten, um auch beruflich den seriösen Habitus zu erlangen, den er nunmehr seinem Äußeren zulegte. Da man Protektion hinter ihm vermutet hatte, war er skeptisch empfangen, kritisch beobachtet und mit hinterhältigen Aufträgen bedacht worden, ein vorsichtiger junger Mann, der scharfsinnige Beobachtungen in flottem Stil niederschrieb.
Schon bald hatte sich Guido mit den ersten Kollegen angefreundet und nach Wochen das Misstrauen der meisten zerstreut. Er brauchte nicht mehr um Aufträge zu kämpfen, man schickte ihn gern los – wie vor einer Woche nach Bonn, zwecks einer Reportage über das einst so schöne Städtchen am Rhein, das zu einem weltpolitischen Zentrum geworden war.
Die Firma Ritt hatte nichts damit zu tun; Guido schöpfte aus rein journalistischen Quellen. Ein jüngerer Volksvertreter der Regierungspartei wurde zu seinem Zechkumpan; durch ihn lernte Guido, dem es ebenso leicht fiel, sich Freunde zu machen wie Feinde zu schaffen, andere Politiker kennen, verkehrte als gern gesehener Gast in einem Abgeordnetenwohnheim neben dem Bundestag, wurde herumgereicht, eingeladen, hofiert und auch hingehalten, mit echtem Klatsch und falschen Nachrichten versorgt, oft bei Kartenspiel und Umtrunk.
Häufig stahlen sich seine neuen Freunde aus dem Bundeshaus und hörten in ihren Appartements die Lautsprecherübertragung der Plenarsitzung. Wer in der Wohnanlage seine Bonner Tage zubrachte, verlor – wegen Raumnot – seine Bürozelle im Parlamentsgebäude, und so dienten die bescheidenen Unterkünfte zugleich als Sekretariate, Kochnischen, Schlafkojen und Kantinen: ein Tummelplatz für einen ehrgeizigen Journalisten, der das Vertrauen von Strohwitwern genoß, die wie Junggesellen leben mußten.
Es war unumgänglich, daß der Reporter auf den Ritt-Ausschuss stieß, dessen hintergründiges Wirken von ihm zum Höhepunkt seiner Reportage auch dann erhoben worden wäre, wenn er Martin Ritt nicht gekannt hätte. Guido sah einen Missstand und brannte darauf, einem verehrten Mann mit seiner Aufdeckung einen Gefallen zu erweisen, weshalb er sich mit Vehemenz in den Fall stürzte.
Da sein Bericht Aufsehen erregen würde, vermied der Reporter vorsorglich jeden Kontakt mit dem Finanzmakler, der ohnedies fast nie zu erreichen war; die fischblütige Art des Dr. Schiele mochte Guido sowieso nicht, der Mann würde ihn nur bremsen; außerdem hatte ihm Martin strenge Trennung seiner Interessen von denen des Tageskuriers geradezu auferlegt.
Guido wartete Drumbachs Auftreten noch ab und hörte aus dem Munde befreundeter Abgeordneter, die auch Ausschussmitglieder waren, wie sicher und überzeugend der Präsident gewirkt haben mußte – unwiderlegbar schon deshalb, dachte der Reporter, weil es im Ausschuss keine wirkliche Gegenpartei gab und Drumbach, hinter verschlossenen Türen sprechend, richtig aus sich herausgehen konnte; er hatte im Ausschuss nur Bundesgenossen, und die Protokolle waren der Öffentlichkeit nicht zugänglich – und das, meinte Guido, sei ein Übel.
Er jagte mit seinen Unterlagen nach München zurück und fragte sich, ob es die Redaktion wagen würde, einen Mann wie Drumbach anzugreifen, der weit über die Lobby ragend, keine Partei mehr, sondern eine Institution zu sein schien.
Guido schrieb tagelang an seiner Artikelserie und legte sie dann vor. Die Redakteure arbeiteten auf kollegialer Basis zusammen und wahrten geschlossen ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Verlag. Da jedermann wußte, daß Ritt ein maßgeblicher Gesellschafter war, drohte dem Bericht der Wegfall eines
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