Die wilden Jahre
wobei sich zeigte, daß der Verfasser viele Interna erfahren haben mußte, wurde Umlauf unruhig. Er ahnte, daß er erst den Anfang der Enthüllungen erlebte, und verlangte den Mitgliedern seines Gremiums die Erklärung ab, daß sie dem Tageskurier keinerlei Informationen gegeben hätten.
Es kam zu einer tumultuarischen Szene, in der alle Beteiligten, entrüstet über Ton und Tendenz der Artikelserie, sich bereit erklärten, selbst vor einem Untersuchungsausschuss zu beeiden, die Schweigepflicht peinlich befolgt zu haben.
Umlauf war beruhigt, doch nur für einen Tag, denn die nächste Folge brachte wörtliche Zitate geheimer Sitzungen. Er sah bereits die Pulverwolken des Skandals, die ihn zwingen würden, in seinem Ausschuss auf der Stelle zu treten, und er wußte, daß es das Ende seiner politischen Karriere – in die er so mühsam gedrungen war – bedeuten würde, falls er nichts unternähme.
Der Ausschußvorsitzende setzte sich mit der Bundesanwaltschaft in Verbindung, fernmündlich; er hatte sich eine lange Erklärung zurechtgelegt und war überrascht, wie schnell man in Karlsruhe reagierte. Man bat ihn, nichts zu unternehmen und den Besuch des mit den Ermittlungen beauftragten Kriminalkommissars Kubitzka abzuwarten, der bereits eine Stunde später auftauchte.
Der Beamte war klein und unauffällig; in seinem Gesicht, das die Durchschnittlichkeit konfektioniert hatte, ließen nur kalte kleine Augen die Leidenschaft des Jägers erkennen, des Menschenfängers; Kubitzkas fleischige Ohren standen leicht ab, seine spärlichen, flaumigen Haare waren sorgfältig gescheitelt.
Dr. Umlauf, der selbst als farblos galt, versuchte, bei der Begrüßung seine Enttäuschung darüber zu verbergen, daß man ihm einen so farblosen Beamten geschickt hatte.
»Sind Sie sicher, daß der Tageskurier Dokumente in der Hand hatte?« fragte Kubitzka.
»Da ich weder an Hellseher noch an Gedächtniskünstler glaube«, erwiderte Umlauf heftig, »absolut.«
»Wem wurden die Dokumente ausgehändigt?«
»Den Abgeordneten, zur Sitzung – danach werden sie eingesammelt.«
»Keine Möglichkeit«, fragte Kubitzka, »sie über Nacht auszuleihen?«
»Die Möglichkeit besteht – gegen Quittung; aber kein Ausschussmitglied hat davon Gebrauch …«
»Kann ein Teilnehmer während der Beratung die Sitzung verlassen?«
»Natürlich«, erwiderte Umlauf, »ich kann niemanden daran hindern, auszutreten oder im Restaurant zur Erholung eine Tasse Tee zu trinken.«
»Womöglich mit dem Protokoll?« fragte der Kriminalkommissar sanft.
»Herr Kubitzka«, fuhr ihn der Vorsitzende ungehalten an, »kann ich einen Abgeordneten durchsuchen lassen? Was halten Sie überhaupt von Volksvertretern?«
»Ich bin Kriminalist – kein Politiker. Aber ich nehme gern zur Kenntnis, daß Sie Ihre Ausschussmitglieder für unverdächtig halten.« Sein Gesicht wirkte schläfrig, als er noch einmal fragte: »Alle?«
»Ja.«
»Auch die Vertreter der Opposition?«
»Hören Sie, Kubitzka«, erwiderte Umlauf lächelnd, »in diesem Ausschuss gibt es eigentlich keine Opposition.« Er nahm eine Zigarette und schob dem Besucher das Etui über den Schreibtisch zu. »Wenn Sie sich schon nicht davon abbringen lassen wollen, daß ein Ausschussmitglied der Täter sei, dann müßten Sie auch beweisen, daß er direkt bestochen wurde. Ein anderes Motiv gibt es nicht.«
»Auch nicht – über Wahlfonds?«
»Eine Minderheitspartei hat zwei Stimmen«, antwortete der Vorsitzende, »eine Möglichkeit wäre gegeben, daß – sagen wir, die Parteikasse mit einem Interessenten sympathisiert …« Er betrachtete gelassen seine gepflegten Fingernägel. »Diese Gefahr halte ich jedoch für minimal, da meine Partei sich entschlossen hat, diese Splittergruppe zu finanzieren.«
Umlauf hatte das Gefühl, daß Kubitzka vielleicht doch ein besserer Kriminalist sei, als er angenommen hatte; er erinnerte sich, daß dieser Mann als ein Spezialist von unbestreitbarer Tüchtigkeit galt, einer der umstrittenen Fachleute, auf die trotz ihrer braunen Vergangenheit die bundesrepublikanische Gegenwart nicht verzichten wollte.
Der Vorsitzende begann zu erklären, welche Beamten und Angestellten des Bundeshauses Zugang zu dem Geheimtresor hätten, doch der Kriminalkommissar unterbrach ihn lächelnd mit den Worten: »Bin im Bild.«
»Jetzt schon?« fragte Umlauf verwundert.
»Scheinbare Duplizität«, antwortete Kubitzka, »wir hatten vor ein paar Tagen bereits eine Anzeige – allerdings wegen
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