Die wilden Jahre
Wächter und Gesellschafter des Amtmanns, der mit den Hausbewohnern belanglose Gespräche führte. Das Vertrauen zu dem Kommissar, der Tag und Nacht bei ihm war, wuchs. Sie saßen beieinander, hörten Radio, tranken Bier, und warteten, warteten.
»Haben Sie diesen Mann schon einmal gesehen?« fragte der Kriminalist beiläufig und wies ein Foto vor.
»Ich glaube ja«, antwortete Wirth, »ist das ein …?«
»… ein Journalist namens Brenner«, half Kubitzka nach. »Gesehen oder gesprochen?«
»Gesprochen auch«, gab er dem Beamten zu.
»Haben Sie ihn auch beliefert?«
»Nein«, antwortete Wirth, der bereits mit hündischer Ergebenheit an seinem Verfolger hing.
»Wirth«, sagte Kubitzka, »ich will von Ihnen nur die Wahrheit hören. Sie sollen nichts zugeben, was nicht stimmt. Aber etwas sage ich Ihnen: wenn Sie diesen Burschen«, er wies auf das Foto des Reporters, »Ausschußunterlagen auch nur gezeigt haben – vielleicht gegen Geld …« Er sah Wirth, der eine Chance witterte, unverwandt an. »Mann, damit würden Sie sich Freunde schaffen, verdammt einflussreiche Freunde, aber …«
Kubitzka tat immer, was von ihm verlangt wurde. Zur Zeit waren korrekte Geständnisse gefragt, also durfte er keine fingierten liefern, so wie er früher keine Hemmungen gehabt hatte, gefälschte Indizien zu beschaffen.
Zum ersten Mal klingelte das Telefon. Für Kubitzka war ein zweiter Hörer installiert worden; er nickte Wirth zu und horchte mit. Ein Kollege Wirths war am Apparat und fragte, wie es dem Patienten gehe. Der Name wurde notiert und der Mann routinemäßig überprüft. Kein Befund.
Es folgten nichts sagende Telefongespräche. Dann, am nächsten Tag, war eine fette Stimme am Apparat. »Müller«, meldete sich der Anrufer und befahl Ort und Zeit.
Endlich hatte Kubitzka eine Möglichkeit, vorzuführen, wie virtuos er sein Instrument beherrschte: Wirth übergab, beschattet, Spielmaterial. Müller wurde verfolgt, der Weg der gefälschten Dokumente überwacht, von Ort zu Ort, von Mann zu Mann. In verblüffend kurzer Zeit waren sechs weitere Personen, ein ganzes Netz ausfindig gemacht und schlagartig festgenommen. Durch die Presse ging die Meldung, daß es der Bundesanwaltschaft gelungen sei, einen östlichen Agentenring zu sprengen.
Der Fall war geklärt, und der Kriminalkommissar arbeitete an seinem Schlußbericht. Er ließ sich Wirth noch einmal kommen; es gab Sandwiches und eine Flasche Schnaps; der Häscher und sein Opfer verbrachten den Abend wie zwei Männer, die sich auf einer Ferienreise kennen und schätzen lernten.
Die Aussagen Wirths würde kein Verteidiger in der Gerichtsverhandlung bezweifeln können. Sie waren stabil, untermauert. Aber Kubitzka wußte, daß er, wenn er seiner Glanzleistung noch eine Krone aufsetzen wollte, sich auf brüchiges Eis begeben mußte.
»Damit wäre alles erledigt«, sagte er zu Wirth, »und ich glaube, daß Sie in der Verhandlung ganz gut abschneiden werden.«
Der Kommissar bot wieder Brötchen an, goss Schnaps nach. Der Mann hing an ihm wie ein Kranker an einem Wunderdoktor.
»Da ist noch diese Sache …« Kubitzka zeigte ihm wieder Brenners Foto. »Geben Sie schon zu, daß Sie mit ihm Geschäfte machen«, sagte er burschikos.
Wirth hatte nichts mehr zu verlieren, sondern nur noch zu gewinnen. Er erfasste, welchen Gefallen er sich und – einem Freund erweisen konnte, und berichtete, was von ihm nicht verlangt, wohl aber erwartet wurde.
Eine Stunde später unterschrieb der frühere Amtmann Wirth, bedrängt von Intimität, Depression, Schnaps und Hoffnung, daß er von dem Journalisten Guido Brenner bestochen worden sei.
Der Kriminalist legte seine Arme auf die Tischplatte, als brauchte er ein Stativ für seinen Kopf, und fragte: »Stimmt das auch?«
»Ich …«, antwortete der Mann im grauen Anzug matt, »ich hab' Sie doch noch nie angelogen.«
Kubitzka nickte. »Ist Ihnen nicht gut?« fragte er, auf Wirths gelbliches Gesicht anspielend.
»Ich bin das Trinken nicht gewohnt.«
»Ruhen Sie sich in der Zelle aus.« Der Kommissar gab Wirth die Hand und geleitete ihn zur Tür, dann ging er zu seiner Arbeit zurück.
Er war zu erfahren, um sich selbst zu belügen, und so glaubte er, es gebotener Korrektheit schuldig zu sein, dem Fall Brenner, diesem Appendix des Falles Wirth, als letzten Absatz eine persönliche Bemerkung hinzuzufügen, die er einer Stenotypistin diktierte:
Wenn auch einwandfrei erwiesen ist, daß sich Wirth und Brenner kannten und Ort und Zeit
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