Die wilden Jahre
behandelt, wenn man sich ihm freiwillig unterwarf und Anordnungen, die er selten aussprach, flink begriff. Er arbeitete gern mit jüngeren Beamten zusammen; es war kein Zufall, daß sich im Glanz seines Wohlwollens Staatsanwalt Rothauch in kurzer Zeit einen Namen gemacht hatte.
Link begrüßte den vollschlanken, fahlblonden, blaßhäutigen Mann mit auszeichnender Formlosigkeit. »Ist Ihnen schon einmal ein gewisser Guido Brenner, ein Journalist, über den Weg gekommen?« fragte er dann.
»Ja«, antwortete Rothauch, »ein recht übler Bursche.«
»Ist Ihnen auch ein Mann namens Ritt bekannt.?«
»Ziemlich«, erwiderte der Staatsanwalt und betrachtete die flachen Hände Links, die zärtlich über einen Aktendeckel glitten.
»Bestens«, entgegnete der Oberstaatsanwalt, seinem Adlatus dieses schmale Dossier überreichend wie ein geladenes Gewehr. »Dann darf ich den richtigen Fall dem rechten Mann anvertrauen!« Er ging an den Schrank, griff nach Mantel, Hut und Schirm. »Nach dieser postalischen Überraschung«, sagte er, »muß ich richtig durchatmen – im Freien, und bis dahin bitte ich, daß weder Sie noch der Fall Brenner den Raum verlassen.«
Als Rothauch den Akt aufschlug, wußte er sofort, wo der Oberstaatsanwalt die frische Luft suchte: im Ministerium, beim Staatssekretär. Er las und begriff, was in der Anzeige stand und was man aus ihr machen konnte. Brenner – der Helfer; Ritt – der Anstifter, Geldgeber und Nutznießer. Aktive Beamtenbestechung. Immerhin.
Er merkte, daß er heiße Hände und fiebrige Augen hatte. Er sah Ritt vor sich, den er schon in der Schule nicht hatte ausstehen können, ebenso wenig wie dieser ihn; er sah ihn, als er ihm die Aussage für die Spruchkammer verweigerte, sah ihn in Caux, als er ihm Schnaps ins Gesicht schüttete, einen Mann, der mit einer Manipulation Millionen verdiente, ein Flugzeug besaß und zahllose Häuser, mit Weibergeschichten protzte und in hausgemachter Arroganz turmhoch auf einen Staatsanwalt hinabsah.
Vorsicht, dachte Rothauch, was weiß er? Daß ich zu den Prätorianern der Braunen gehörte, ist bekannt. Polen einundvierzig? Wenn ihm der Jude Lessing, der doch noch vor die Hunde ging, etwas gesagt hätte, dann säße ich heute bestimmt nicht hier.
Er las weiter, blätterte zurück, verglich, überlegte, bis kurz vor Mittag der Oberstaatsanwalt zurückkam.
»Na?« fragte er, setzte sich in seinen Sessel, lehnte sich zurück und schloß die Augen, da er immer zu schlafen schien, wenn er besonders wachsam war.
»Für mich ist der Fall klar; die Schuld noch nicht erwiesen – und vielleicht auch nicht beweisbar«, analysierte Rothauch.
»Richtig.«
»Außerdem läuft die Akte unter falscher Flagge. Brenner war nur Werkzeug, der Täter heißt Ritt.«
»Sie begreifen rasch wie immer«, erwiderte Dr. Link.
»Und da muß ich Ihnen leider gleich eine bittere Mitteilung machen.«
»Ja?«
»Dieser Ritt war mein Mitschüler.«
»Wohl schon ziemlich lange her?« fragte lächelnd Dr. Link.
»Allerdings.«
»Sind Sie heute noch mit ihm befreundet?« fragte der Oberstaatsanwalt, als sei der Name Ritt im Salon Schlemmer noch nie erwähnt worden.
»Das gerade nicht«, antwortete Rothauch gedehnt, »aber ich bitte doch zu bedenken, daß man mich für befangen …«
»Abgelehnt«, versetzte Link gelassen. »Niemand wird Ihnen das vorwerfen, ich meine – zu Recht – und vor ungerechtfertigten Anwürfen werde ich Sie bestimmt zu schützen wissen.«
»Dann wäre das erledigt«, antwortete der Staatsanwalt. Auf seinem blassen Gesicht bildeten sich rosa Tupfen; in seinen grünen Augen flirrten braune Splitter. »Und ich darf mich an die Arbeit machen.«
»Sie müssen«, versetzte der Oberstaatsanwalt lächelnd, »selbst wenn Sie künftig nicht gut schlafen sollten.«
»Darf ich noch um Ihre – Weisungen …?«
»Weisungen wollen Sie? Von mir?« fragte Link überrascht. Er beugte sich vor. »Seit wann?« Er schüttelte den Kopf. »Weisungen gibt es in dieser Sache nicht. Sie handeln selbständig, aber Sie unterrichten mich. Sicher wissen Sie längst, wie Sie vorgehen wollen?«
»Wäre der Beschuldigte ein kleiner Fisch«, antwortete Rothauch, »würde ich es frontal tun.« Er dachte an Festnahme, Hausdurchsuchung, Vernehmung der Angestellten. »Wenn wir ihn erst in der Zange hätten, stünde er bald vor Gericht. Also werde ich zunächst einmal diesen Brenner festnehmen und den Fall abdichten. Dann wird man sehen …«
»Jetzt da wir uns
Weitere Kostenlose Bücher