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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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wußte, daß einzelne Interessenten ihren Maklern Blankovollmachten gegeben hatten, bis auf weiteres zu jedem Kurs zu kaufen.
    Die City gab den letzten Widerstand auf, und Drumbach gab sich im internen Kreis geschlagen. Er schätzte, daß Ritt die knappe Hälfte seiner Aktien ausgegeben hatte, womöglich noch mehr, jedenfalls genug, um künftig jede finanzielle Durststrecke auszuhalten. Selbst wenn die Lex Ritt die Zufuhr neuer Gelder sperrte, konnte der Mann gemächlich abwarten, bis seine langfristigen Industriekredite zurückrotierten, womit der eigentliche Sinn des neuen Gesetzes hinfällig geworden war. Damit stand für Freund und Feind außer Frage, daß Ritts letzter Sieg auch endgültig sei.
    Doch die Kurse kletterten weiter, stiegen, stiegen.
    Von allen diesen Nachrichten erfasste Madame Rignier nur, daß sie nach Frankfurt zurück mußte.
    »Aber nur ganz kurz«, versprach Martin, »ein paar Tage – dann kommt Petra, und wir reisen an die Riviera.«
    Sie starteten in Zürich mit der Kursmaschine; sie glitt so sanft durch die Lüfte, als segle selbst sie im Aufwind der Hausse.
    Als Martin in Frankfurt landete, standen seine Aktien auf achthundertvierundachtzig; sie waren während des Neunzigminutenflugs um siebzehn Punkte weitergeklettert.
    Bonn hatte die ungewollte und voreilige Geburt einer Volksaktie erlebt, die, von der Vorstellung der Regierung weit entfernt, Zorn, Erbitterung und Schadenfreude in die Bundeshauptstadt schwemmte, als sie die Wellenringe dieses einmaligen Spekulationsfiebers erreichten.
    Kriminalkommissar Kubitzka genoß in diesen Tagen sein Jagdfieber. Er hatte einen ungetreuen Amtmann namens Wirth unauffällig verhaften lassen; als er erstmals dem gebrochenen, verstörten Mann im grauen Anzug – Junggeselle, Bürogesicht –, der in dummer Schuljungenart abstritt, was offenkundig zutage lag, betrachtete, sah er keinen gelernten Agenten, sondern einen gestrauchelten Beamten.
    Alles kam darauf an, auf die Hintermänner zu stoßen, bevor Wirths Verhaftung ruchbar wurde. Das Bundeshaus erfuhr, daß der Amtmann wegen einer fiebrigen Blinddarmentzündung in ein Krankenhaus eingeliefert worden sei. Um die Festnahme weiter zu tarnen, schlug Kubitzka im Seitenflügel einer Privatklinik sein Vernehmungszimmer auf. Post und Telefon wurden über die neue Adresse geleitet.
    Landesverrat – dieser Markenartikel von gestern, auch heute noch ein brauchbares Schlagwort, war nach dem Geschmack des Kriminalisten: nicht das Verbrechen, sondern seine Verfolgung. Landesverrat – das bedeutete, daß man nicht zimperlich zu sein brauchte, weder bei der Vernehmung noch bei der Spesenabrechnung. Landesverrat – mit dem Wort dröhnte der Tritt marschierender Kolonnen auf, dumpf, zackig. Landesverrat – das hörte sich an wie ein durch die Luft sausendes Fallbeil. Landesverrat – das klang wie: Kopf ab.
    »Hören Sie zu, Wirth«, sagte Kubitzka, »wir wissen, daß Sie Zugang zu dem Geheimmaterial hatten. Wir wissen, daß Sie mehr Geld ausgaben, als Sie verdient haben. Wir wissen von Ihrem Bruder in der Ostzone, und …«, fuhr er fort, Wirths Blick deutend und ihm eine Zigarette zuschiebend, nach der der Mann seit langem gegiert hatte, »wir haben in Ihrer Wohnung eine teure Kameraausrüstung sichergestellt, Mikrofilme und anderes Zubehör.« Er stand auf. »Sie können mich noch ein paar Tage belügen. Ich kann Sie scharf anfassen.« Er lächelte mild. »Ich will Sie gar nicht mit dem erschrecken, was ich alles könnte. Es liegt mir nicht, glauben Sie mir.«
    Der beschuldigte Amtmann hob den Kopf. Er ließ erstes Zutrauen zu seinem Jäger erkennen; immer zeigten die Gejagten Zutrauen zu Kubitzka, selbst die Juden in Italien hatten sich lieber von ihm zu den Sammelstellen transportieren lassen als von anderen Beamten. Kubitzka war auch deshalb so rasch vorangekommen, weil er es verstanden hatte, einen unangenehmen Beruf mit angenehmen Umgangsformen zu verbrämen.
    »Sie sind fertig. Man wird Sie zum Teufel jagen. Man wird Sie ins Zuchthaus sperren. Seien Sie kein Waschlappen! Sehen Sie mich an, Wirth …« Um seinen Mund spielte ein mattes Lächeln. »Für Sie ist eine Welt zusammengebrochen. Im Moment ist es Ihnen egal, was aus Ihrer Zukunft wird.« Der Kriminalist sah an den Augen des Verdächtigen, daß er ihm zuhörte. »Im Gegensatz zu Ihnen habe ich Erfahrungen mit Strafanstalten und ihren Insassen.« Er drückte seine Zigarette aus. »Später werden Sie erfahren, daß Sie trotzdem

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