Die wilden Jahre
als Indizien zueinander passen, so möchte der Vernehmende doch daraufhinweisen, daß Wirth eine Art seelischen Zusammenbruch erlitten hat und deshalb womöglich im Falle Brenner im blinden Übereifer eine Tat gestand, um richterliche Milde zu erwecken.
Kubitzka zerriss seine Notizen und warf sie in den Papierkorb.
»Fertig«, sagte er. »Leider müssen Sie das Stenogramm heute nacht noch übertragen, da der Bundesanwalt den Schlußbericht schon zweimal angefordert hat. Wie lange werden Sie brauchen?«
»Ein paar Stunden«, schätzte das Mädchen.
»Gut«, entgegnete Kubitzka. »Ich komme um acht Uhr zur Unterschrift, und dann«, setzte er gutgelaunt hinzu, »möchte ich Sie zwei Tage lang hier nicht mehr sehen.«
Als der Kriminalkommissar, zufrieden mit sich und seinem Werk, in sein Büro zurückkehrte, erfuhr er, daß sich inzwischen eine Panne ereignet hatte, an der er schuldlos war. Der U-Gefangene Wirth war soeben in seiner Zelle tot aufgefunden worden. Er hatte sich an seinem Gürtel erhängt, der um den Heizkörper geschlungen war.
Kubitzka rief im Gefängnis an, bestätigte dem Direktor, daß es wirklich peinlich sei, aber vorkommen könne, und fragte lauernd: »Hat er keine Nachricht hinterlassen? Keinen Brief? Nichts Schriftliches?«
»Weder schriftlich noch mündlich«, hörte er.
Der Kriminalist nickte und legte nachdenklich den Hörer auf.
Er ließ sich das bereits versiegelte Aktenpaket wiedergeben, riß es auf, strich aus seinem Schlußbericht den letzten Absatz, ließ die Seite noch einmal schreiben, sammelte die Kopien ein, zählte sie nach und wartete, bis die Sekretärin gegangen war.
Kubitzka war versöhnt mit dem Toten. Sein Gesicht wirkte versonnen, als er das Streichholz an das Papier hielt, um seiner Karriere ein Rauchopfer zu bringen.
V
Der zuständige Bundesanwalt in Karlsruhe, laufend über den Fall informiert, wußte, daß der Kriminalkommissar Kubitzka ganze Arbeit geleistet hatte, und ein erster Blick in dessen Bericht zeigte ihm, daß er die Anklage gegen Müller und sechs weitere Agenten sofort erheben konnte.
Weniger gefiel ihm die Bestechungsaffäre des Journalisten Brenner, ein Wurmfortsatz dieses Paradefalls. Da der Bestochene tot war, würde der Käufer seine Tat abstreiten; es stand zu erwarten, daß dieser Abfall eines größeren Prozesses im Sand verlaufen würde, und so erwog der erfahrene Beamte, das Verfahren gegen Guido Brenner einzustellen, kam aber zur Ansicht, daß man der örtlichen Justizbehörde nicht vorgreifen solle; er trennte das Verfahren Brenner von der Landesverratssache ab und gab es auf dem Dienstwege an die zuständige Staatsanwaltschaft nach Frankfurt weiter, wo der Beschuldigte polizeilich gemeldet war.
Der Leiter der Anklagebehörde, Oberstaatsanwalt Dr. Link, betrat jeden Tag kurz nach neun Uhr den Justizpalast, in dem zur Zeit Gerüchte über die neuen Beförderungen umgingen. Noch war nichts amtlich, aber die Veränderungen sollten bereits von der Personalabteilung des Justizministeriums verfügt sein und bei dem Staatssekretär zur Unterschrift liegen; man sprach davon, daß Oberstaatsanwalt Dr. Link doch noch der Sprung zum Landgerichtspräsidenten gelingen würde und dessen Günstling Rothauch zum Vorsitzenden einer Strafkammer aufrücken sollte.
Mit einem flüchtigen Gruß durcheilte Link sein Vorzimmer, prüfte mit einem Blick den Umfang des Tageseinlaufs, setzte sich an seinen Schreibtisch und begann mit moderiertem Interesse die Durchsicht des täglichen Krams, den er nun bald abgeben konnte; als er auf den Fall Brenner stieß, zuckten seine Hände, als hätten sie flüssige Lava berührt.
Behutsam nahm er das Dossier. Sein Karpfenmund wölbte sich, seine Fischaugen wurden klein. Er las konzentriert, lehnte sich zurück und beglückwünschte sich dazu, schon vor eineinhalb Jahren ein Dezernat für Sonderfälle errichtet und mit Staatsanwalt Rothauch besetzt zu haben, zweifellos einem energischen und hochqualifizierten Juristen, mochte ihn auch eine gewisse Presse als Prominentenjäger verleumden.
Der kommende Chef des Landgerichts, hoch in den Fünfzigern, hatte ein Gesicht, in dem vom Leben kräftig herumgeknetet worden war: die rissigen Falten erinnerten an gescheiterte Wünsche. Sein Dienstraum, gediegen ausgestattet, doch nicht überladen, lag in einem Eckzimmer des riesigen Gebäudes und wurde von Beamten, die voranstrebten, nicht ungern betreten.
Dr. Link war glatt und höflich; man wurde von ihm gleichberechtigt
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