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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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in Frankfurt zugebracht und war während des Börsengewitters auf konspirative Gesichter und halblaute Gespräche gestoßen; sie hatte vernommen, daß vorübergehend nicht mehr in jenem duldsameren Ton von ihrem leiblichen Vater gesprochen wurde.
    Die Mutter half ihr beim Einpacken. In einer Stunde würde sie im Dienstwagen der nunmehrigen Ritt-AG abgeholt werden. Die Fünfzehnjährige konnte von den Vorgängen um die Aktien nicht mehr erfassen, als daß sich die Firmenbezeichnung geändert hatte, denn mit den Kommentaren und Meldungen der Zeitungen wußte sie wenig anzufangen: Petra war nur aufgefallen, daß Martins Coup häufig als betrügerisches Manöver abgetan wurde.
    »Sag mal, Mutti«, fragte sie, »was steckt eigentlich hinter dieser Sache?«
    »Martin ist an der Börse ein Abenteuer eingegangen und hat dabei viel, sehr viel Geld verdient.« Mit einem gewissen Lächeln setzte sie hinzu: »Er ist nun einmal ein moderner Cagliostro …«
    »Meinst du damit – ein Hochstapler?«
    »Nein, wirklich nicht, Kind.« Als suche sie nach Worten, fuhr Bettina langsam fort: »Wenn bei Geschäften das Risiko größer ist als die Verantwortung, dann werden sie eben problematisch …«
    »Ich verstehe nicht, was daran auszusetzen ist, wenn ein Mann an dem Verkauf eines Artikels verdient.«
    »Nichts«, stimmte Bettina zu, »sofern der Artikel nicht wertlos …«
    »Es ist doch Sache des Käufers, die Qualität zu prüfen«, entgegnete das Kind, leicht aggressiv.
    »Ja, aber – wie soll ich es dir nur erklären? Nehmen wir an«, fuhr Bettina fort, sie lächelte hintergründig, »ein Mann verkauft einem Interessenten ein Pferd, preist es an …«
    »Reklame«, wandte Petra ein.
    »Reklame ist nur Übertreibung«, erwiderte die Mutter, »aber wenn er zum Beispiel das Pferd für fünf Jahre jünger ausgibt, als es ist, oder über die Zucht unlautere Angaben macht, dann …«
    »Dann wäre er ein Rosstäuscher«, antwortete Petra, »das willst du doch damit sagen?«
    »Lass mich doch erst ausreden«, verwischte Bettina den Einwurf. »Martin befand sich in bestimmten Schwierigkeiten …«
    »Finanziellen?«
    »Ja«, antwortete die Mutter, »nicht so, wie du denkst – nicht, daß es bei ihm auf ein paar hunderttausend Mark angekommen wäre, es ging um Millionen, um viele Millionen, die er als Sicherstellung für einen geschäftlichen Rückschlag brauchte, dem jeder einmal ausgesetzt sein kann. Nun hat er für Leute, die nichts vom Pferdehandel verstehen, einen Gaul prächtig herausgeputzt, du weißt schon, mit diesen aufgeblasenen Zeitungsenten, und einige Leute, die vom Pferdehandel wirklich etwas verstehen, sind der Meinung, daß er mit Hilfe der Schlagzeilen einen Ackergaul als Rennpferd auffrischte.«
    »Wenn die so dumm sind«, entgegnete Petra hartnäckig.
    »Sicher, Liebes, aber das werden sie erst merken, wenn sie es eines Tages büßen müssen.« Sie sah, daß sie Petra nicht überzeugt hatte, die sich fragte, warum ein Händler, der hundert untaugliche Gäule im Stall hat, einundfünfzig behalte, obwohl er sie mit Riesengewinn loswerden könnte.
    »Aber lassen wir doch das«, sagte Bettina, Petras Überlegungen richtig deutend, »Hauptsache: es ist alles gut gegangen – und du wirst wahrscheinlich einmal eine reiche Erbin …«
    »Da pfeif ich drauf!«
    »Bitte, Kleines«, rügte Bettina nachsichtig, »sei nicht so vulgär. Außerdem ist ja gar nicht gesagt, daß Martin nicht wieder heiratet …«
    »Wieso?« fragte Petra schnell.
    »Er ist erst zweiundvierzig – und er wird nicht immer wie ein Einsiedler leben, zumal ihm das wohl auch nicht gegeben ist.« Bettina, die sich immer besser auf ihre Tochter verstand, sah, daß die scheinbar beiläufige Bemerkung Petra getroffen hatte.
    Der Fahrer war gekommen, das Mädchen meldete es, Mutter und Tochter verabschiedeten sich mit herzlicher Flüchtigkeit.
    Petra drehte sich im Wagen um, kurbelte das Fenster hinunter, Bettina winkte ihr nach, in dem Gesicht mit den nassen Augen spiegelten sich Opfer, Sehnsucht, Verzicht, Hoffnung.
    In Nizza schien noch die Sonne, als die Maschine landete, und Martin, ein gutgelaunter, unbeschwerter Feriengast, der sein Haus in der Sonne und sein Geld in der Tasche hatte, führte vor, wie ein Multimillionär das Highlife aus dem Ärmel schüttelt: Aufstieg aus dem Dunst, Schönwetterbrücke, weite Entfernungen auf wenige Stunden verkürzt, wolkenloser Himmel, Umsteigen in ein glänzendes Auto, livrierter Chauffeur, devote

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