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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Jeep gestützt. Ritt kauerte auf dem Rücksitz, sah dem Offizier in den Nacken, der vorn neben dem Fahrer saß. Welches Schwein hat mich verraten? überlegte er, während die Landschaft an ihm vorbeiflog, die ihm keine Antwort gab.
    Der junge Lessing sagte kein Wort; es war dem alten Ritt recht, aber im Bodensatz der Erleichterung trieb die Angst vor der Zukunft. Ich wollte das doch gar nicht mit seinem Vater, sagte sich der Gefangene, gewiß, eine Abreibung – doch nicht so. Ich bin doch selbst erschrocken, als der Jude entseelt und entstellt am Boden lag, mit offenem Mund und gebrochenem Blick – ein Mann, mit dem man sich vielleicht heute noch arrangieren könnte –, nicht einer wie dieser Offizier, einer aus Martins verdammter Generation …
    Der Wagen rollte nach München. Felix Lessing lieferte den Internierten im Gefängnis der Militärpolizei ab.
    »Ich möchte«, sagte Ritt, als er merkte, daß der Mann noch immer nicht mit ihm sprechen wollte, »ich möchte mit Ihnen reden – hören Sie, ich muß das …«
    »Wir werden uns bestimmt noch sprechen«, entgegnete der Captain.
    Felix Lessing spürte, daß er nicht schlafen konnte. Zu lange hatte er auf diesen Tag gespart, an dem er ohne weiteres einen Haftbefehl gegen den alten Ritt erhalten hatte – und alles andere würde sich finden. Felix war entschlossen, den Mann mit der gleichen Präzision zu vernichten, sachlich und rationell, mit der man widerliches Ungeziefer beseitigt.
    Er besuchte einen Offiziersklub, aber er traf keine Bekannten, erfuhr, daß sie in einer requirierten Villa im Münchener Norden eine ›Schwabinger Nacht‹ veranstalteten. Er hatte keine Lust auf Liebe, aber er brauchte Menschen, Lachen, Gesellschaft, Ablenkung.
    Als er ankam, waren die meisten schon betrunken. Mädchen liefen lachend und halb nackt durch die Räume, verfolgt von Amerikanern, die sie tolpatschig jagten. In diesem Stadium war das Vergnügen mehr komisch als orgiastisch.
    Die Offiziere gehörten zu einer amerikanischen Dienststelle mit deutschem Personal, die ihren Stenotypistinnen eine amerikanische Mahlzeit und eine Bescheinigung für das Arbeitsamt bieten konnten. So kamen immer mehr Favoritinnen hinzu.
    »Hallo, Felix«, rief eine Platinblonde, aber der Captain ging weiter, ohne sich um sie zu kümmern.
    »Laß ihn stehen!« rief ein anderes Mädchen, »du siehst doch, daß er schlechte Laune hat.«
    Felix hatte sonst nichts gegen diese Fräuleins einzuwenden, aber er wollte den Tag, auf den er so lange gewartet hatte, nicht entweihen. Er legte Platten auf und trank, sah sich um dabei: Nicht nur der Hunger treibt sie zu Paaren, dachte er, die meisten wollen weniger candies oder Schnitzel, als mit einem Mann Zusammensein und keine Feldpostbriefe schreiben. Sie wollen nachts zärtliche Musik hören und nicht auf das Rauschen der Bomben warten. Lieber tanzen und flirten als bangen und sterben. Deshalb nehmen sie diese kräftigen, harmlosen GIs mit den Stifteköpfen in ihre Liebesschule – und diese unverdorbenen Burschen aus den matriarchalischen Staaten lassen sich von ihren Fräuleins für die Nacht abrichten wie Hunde für die Jagd: Hunde, die eifrig apportieren …
    Felix wollte den anderen den Abend nicht verderben und ging. An der Tür begegnete er einem jungen frischen Mädchen, das er hier noch nie gesehen hatte, das verloren dastand und, einen Brief in der Hand haltend, ratlos dem lärmenden, tanzenden Treiben zusah.
    Eine Betrunkene faßte die Widerstrebende am Arm und versuchte, sie in den Raum zu ziehen.
    »Nun komm schon, Susanne – sei nicht so zimperlich!«
    Felix erkannte sofort, daß es sich hier um ein Mädchen und nicht um ein Fräulein handelte, das man unter einem Vorwand in die Falle einer Wohnung locken wollte.
    »Lessing«, er verbeugte sich knapp. »Das hier ist nichts für Sie. Kommen Sie, ich bringe Sie nach Haus.«
    »Ja – aber, ich kann doch …«
    »Kein Aber«, entgegnete er.
    »Wenn der Brief …«
    »Und auch kein Wenn«, setzte er hinzu, während er das Mädchen Susanne zu seinem Wagen führte.

VII
    Die Gehängten baumelten drei Tage; die Gefangenen standen vierundzwanzig Stunden. Wer umfiel, wurde mit kaltem Wasser begossen. Die Knöchel waren dick, der Mund trocken. Die Kälte schnitt in die Haut. Der neue Kommandant des Wehrmachtsstrafgefängnisses, dessen Vorgänger wegen seiner ›schlaffen Haltung‹ abgelöst worden war, bewies seine Härte.
    Martin Ritt gehörte zu den wenigen, die nicht umfielen. Er

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