Die wilden Jahre
der Geste des Grandseigneurs, der königliche Geschenke in lässiger Manier überreicht, setzte er hinzu: »Petra Ritt.« Martin betrachtete seine Tochter, die den Sinn dieser Eröffnung nicht zu begreifen schien. »Du bist eine Ritt – und so wird man …«
»Gar nichts wird man«, erwiderte sie wild und nahm Schieles Schreiben, überflog es und fuhr heftig fort: »So machst du das also? Du verteilst Namen wie Trinkgelder. Du manipulierst mich wie deine elenden Aktien. Du drückst auf den Knopf und bestimmst einfach über mich – ohne zu fragen …«
»Wolltest du nicht selbst eine Ritt …?«
»Das war einmal«, entgegnete sie. »Ich will nicht so heißen …« Ihr Gesicht rötete der Zorn, »und ich will nicht so sein wie du – nicht so kaltherzig, so machthungrig, ich will nicht über Leichen gehen; ich möchte nicht aus einer Laune heraus einfach in eine Familie einbrechen und einen Mann, der nur Gutes tat, sinnlos kränken …«
»Neue Töne?« fragte Martin höhnisch.
»Richtige Töne. Verlass dich darauf! Selbst wenn du diese Sache vor Gericht durchsetzen solltest, merk dir gleich …«, Petra stand auf, trat an Martin heran, ihre Augen glänzten groß und feucht, »ich werde einem Mann nicht weh tun, der sich anständig zu mir benommen hat, während mein leiblicher Vater mich im Stich ließ.«
Auf einmal sah er Bettinas Gesicht; Petra hatte ihre Stirn, ihre Stimme; er hörte Bettinas jagenden, peitschenden Tonfall – alles in einer Höhe, ohne Komma, ohne Punkt, hektisch: »Ohne Verantwortung – aus reinem Vergnügen – mit irgendwelchen Weibern – auch jetzt noch – er hat sich nicht nur wie ein Vater«, rief Petra im Diskant, »sondern wie ein Mensch benommen, während du wie ein …« Abrupt brach sie ab. »Wenn du diese Klage nicht zurücknimmst …«, drohte sie.
»Dann?«
»Dann gehe ich und zwar für immer.«
»Dahin, woher du kommst?«
»Ja«, rief sie mit glühendem Gesicht, mit verweinten Augen, mit blassen schmalen Lippen, mit Bettinas ungutem, unfrohem Mund.
Martin spürte, wie der Groll der Jahre aufstieg, Narben aufriss, Vorsätze hinwegschwemmte. »Geh!« fuhr er Petra an. »Du hast recht, du gehörst zu ihr.«
Petras Körper bäumte sich wie gegen Schläge.
»Du bist genauso verlogen«, vergaß sich Martin weiter, »genauso intrigant, hinterhältig und boshaft wie deine Mutter!«
Petra lief weg. »Und auch so borniert«, schrie er ihr nach.
Am Abend saßen sie zu dritt bei Tisch. Martin ärgerte sich nicht mehr über Petra, sondern über sich und gestand Maman und Eva, daß er sich habe gehen lassen und es zu einer bösen Szene gekommen sei, da das Kind, von der Mutter verhetzt, mit jung-dummem Zorn seinen alten Groll provoziert und sich seitdem in ihr Zimmer eingeschlossen habe.
»Soll ich sie holen?« vermittelte Eva.
»Dann hätten wir den nächsten Auftritt«, wehrte Martin ab.
»Sie ist wie du, filou«, sagte Maman, »genauso trotzig.« Ein verspieltes Lächeln verlief sich auf dem müden Mund. »Gut, daß sie so ist. Aber jetzt bringst du sie uns, nicht?«
»So leicht werde ich es dem Balg nicht machen«, schlug er lachend Maman einmal eine Bitte ab. »Canossa ist erst morgen früh.«
Es war der erste Abend, an dem er Eva ganz für sich hatte. Die junge Frau merkte, daß Martin ein Gespräch suchte, dem sie ausweichen wollte; seiner Frage fliehend, suchte sie, ihr zuvorzukommen: »Madame ist eine prächtige Frau.«
»Es freut mich«, erwiderte er, »daß du so rasch Anschluss an sie …«
»Mich auch.«
»Glaubst du, daß sie gesund ist?«
»Gesund ist ein unklarer Begriff«, entgegnete Eva zögernd. »Wer ist schon ganz gesund – in diesem Alter …«
»Bitte, weich mir nicht aus, Eva«, unterbrach er sie. »Hältst du es für möglich, daß Professor Sturm sich geirrt hat und Professor Vernier seine Diagnose, seine falsche Diagnose übernahm?«
»Das halte ich für ausgeschlossen«, antwortete sie leise.
»Oder daß die Ärzte mich belügen?«
»Nein«, sagte Eva und stand auf.
Wieder fluktuierte das Misstrauen. »Du wirst mich auch nicht belügen?« fragte er.
»Du hast seltsame Fragen«, entgegnete Eva.
»Ich habe Angst«, erwiderte Martin.
Am nächsten Morgen hatte es die Sonne wieder eilig, sich zu erheben und mit dem Meer zu flirten. Wieder saßen sie zu dritt am Frühstückstisch. Martin erhob sich und sagte mit zerknirschter Forschheit: »Jetzt werde ich also dieses liebe Kind um Verzeihung bitten, weil es mich
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