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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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beschimpft hat … Petra!« rief er laut.
    Er erhielt keine Antwort und versuchte es ein zweitesmal.
    Er öffnete ihre Tür und stellte mit einem Blick fest, daß ihr Bett unberührt war.
    Dann sah er den Zettel auf dem Kopfkissen, darin sie ihm mitteilte, daß sie zu ihrer egoistischen, intriganten und verlogenen Mutter fahre und zu dem Mann, der ihr wahrer Vater sei, im Gegensatz zu ihrem richtigen, den sie künftig nie mehr sehen wolle.

VII
    Im Hause Schlemmer herrschte Hochstimmung, die der Staatssekretär in angemessenen Grenzen hielt, indem er Bettina darauf hinwies, daß die Ermittlungen gegen Martin Ritt in einem Stadium seien, das noch keinerlei Optimismus zulasse. Er erschrak, als er aus dem Nebenzimmer, wo seine Frau noch telefonierte, laute, ausgelassene Worte der Freude auffing.
    »Das kannst du nicht fassen, Heinrich«, rief Bettina, bevor sie das Wohnzimmer betreten hatte, »stell dir vor, wir haben eine Glückssträhne!« In ihren Augen glänzte Begeisterung. »Petra«, sagte sie, zu ergriffen, um gleich weitersprechen zu können, um dann in die flutende, interpunktionslose Diktion zurückzufallen, die sie sich in der letzten Zeit mühselig und zielstrebig abgewöhnt hatte: »Stell dir vor – Petra ist soeben angekommen – ja – glaub mir schon – jetzt …«
    »In Frankfurt?« fragte Schlemmer überrascht.
    »Es gab einen Streit, und sie ist einfach ausgerückt. Zu mir – zu uns«, verbesserte sie sich. »Ich nehme den Wagen und hole sie gleich.«
    »Gratuliere«, antwortete Schlemmer, »Schade, daß ich nicht mitkommen kann. Du weißt ja, diese dumme Veteranenveranstaltung …«
    »Meine Tochter!« rief Bettina. »Mein Kind – so ein Glück – so …«
    Mein Ratschlag, dachte Schlemmer und lächelte. »Grüße Petra bitte von mir und überbringe ihr meine Komplimente.« Er verfolgte, wie Bettina vergeblich versuchte, ihr Gesicht wieder in Fasson zu bringen, um dann mit aufgelösten Zügen in die Garage zu hetzen, noch immer unfähig, angesichts dieser erstaunlichen Wendung ihre übliche Beherrschung zu wahren.
    Der Staatssekretär folgte ihr zwei Straßen lang, dann bog er ab in den Gerichtspalast, um verdiente Jubilare der Justiz für fünfundzwanzigjährige und höhere Dienstzeit zu ehren, wozu er einen dunklen Anzug angelegt und eine Ansprache vorbereitet hatte.
    Die Feierstunde fand in der Kantine statt, die mit Blumen geschmückt war. Für alle Anwesenden gab es schöne Worte; für die Jubilare eine Urkunde und ein kleines Geldgeschenk. Im Rahmen der Zuteilungsquote war auch für zwei besonders Auszuzeichnende das Bundesverdienstkreuz verliehen worden, denn man trug wieder Orden.
    Der Staatssekretär machte es kurz, prostete den Jubilaren zu, in deren Reihen auch Staatsanwalt Rothauch war, der nach zehn Amtsjahren wieder außer der Reihe zur Beförderung anstand, ein ausgezeichneter Jurist, dessen Ehrgeiz nicht von der täglichen Routine verbraucht worden war, und die Förderung auch dann verdienen würde, gestand sich Schlemmer, wenn er dem Donnerstagszirkel fern stünde.
    Der Staatssekretär achtete streng darauf, daß es bei einer Beförderungswelle keine Unterschiede der Herkunft, Religion, Parteizugehörigkeit und Weltanschauung gab, wie er auch in der Öffentlichkeit stets die Vetternwirtschaft verurteilt und sich in einigen Fällen sogar, und mit Erfolg, für die Förderung parteipolitischer Gegner oder solcher, die in diesem Geruch standen, eingesetzt hatte.
    Der amtliche Teil der Feier war zu Ende; die Versammelten lösten sich scheinbar zwanglos in Gruppen auf, bei denen jedoch automatisch auf den Rang geachtet wurde, wenn auch der Repräsentant des Ministeriums peinlich bestrebt war, alle auszuzeichnen und mit jedem Jubilar ein paar persönliche Worte zu wechseln, so daß Rothauch es schwer hatte, an seinen Förderer unauffällig heranzukommen.
    Er fing ihn in einer Ecke ab und sagte halblaut: »Ich muß Sie einen Moment sprechen, Herr Staatssekretär.«
    »Bitte«, antwortete der Politiker, ebenso leise. »Aber nicht jetzt und auch nicht hier.«
    Schlemmer ging zur nächsten Gruppe, dem Staatsanwalt mit einem Wink bedeutend, daß er ihn anschließend in seinem Büro erwarte.
    Diesmal begrüßte er ihn ungleich herzlicher, quittierte wohlgefällig, daß Rothauch seine Ansprache rühmte, fragte wiederum nach persönlichen Dingen – es war seine Stärke, die Schlemmers Untergebenen zeigte, wie sehr er sich um ihr Wohlergehen kümmere, ihnen zugleich aber drohend,

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