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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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erkannt, daß Petras Flucht die Rückreise von der Riviera bedeutete, so wie sie jetzt, zwei Tage später, nach der Landung in Frankfurt wußte, daß sie nicht länger um die bittere Entscheidung herumkäme, ein Versprechen zu brechen oder den Mann, den sie liebte, endgültig und unwiderruflich zu hintergehen.
    Sie schlug Madames herzliche Einladung in ihr Frankfurter Haus aus, versprach, sie am nächsten Tag zu besuchen, und fuhr mit dem Taxi in ihre Wohnung. Selbst hier noch verfolgte Eva das Gesicht der Patientin, das, sichtbar nur für sie, den raschen Zerfall anzeigte und sich, schon vom Tod umwittert, noch mit falschem Leben schminkte – Wochen vielleicht noch, Monate höchstens, eine Galgenfrist, für die Eva als Maskenbildnerin verpflichtet worden war.
    Sie schätzte Ausflüchte nicht, sie mochte keine Unwahrheiten, und so erwies sie sich als eine unbegabte Lügnerin; Martin spürte es, das wußte sie, und so vergrößerte sich die Entfremdung beinahe von Stunde zu Stunde, von Wort zu Wort, und Eva überraschte sich bei dem häßlichen Verdacht, daß die Größe einer stillen Frau am Ende die Bosheit einer alten Frau sein könnte. Falls Madame Rignier beabsichtigt haben sollte, Gift zu streuen – dieser Weizen wäre prächtig aufgegangen.
    Doch dieser Verdacht sei unsinnig und gemein, wies sich Eva selbst zurecht. Sie nahm sich vor, den Hausarzt zur Preisgabe der Diagnose zu zwingen und Martin zur Konsultation eines weiteren Spezialisten zu bewegen, was er ohnehin wollte. Sie faßte den Plan, so lange in Andeutungen zu sprechen, bis Martin die tödliche Komödie durchschauen würde. Zuletzt verwarf sie alle diese Vorhaben und erkannte die einzige Möglichkeit, die würdig, richtig und nötig sei: die ganze Wahrheit zu sagen.
    Eva rief ihn zu Haus an, er war selbst am Apparat und trug törichte Erleichterung falschen Trostes zur Schau. Professor Sturm sei dagewesen, Maman schlafe bereits, die Rivierasonne habe sich als schädlich für sie erwiesen, aber nun rechne der Arzt mit einer Besserung; er, Martin werde Maman in ein Sanatorium in den Taunus bringen mit der Hoffnung, daß er sich seiner Besorgnis von nun an wieder begeben dürfe.
    Eva bat ihn, sie heute noch aufzusuchen, und er sagte sofort zu. Er kam, zog sie an sich, sagte ironische Phrasen vom trauten Heim, das Glück allein biete, und grinste in Erwartung dieses heimischen Glücks; Eva wußte, daß sie diesem neuerlichen, wenn auch erfreulicheren Missverständnis zuvorkommen müsse, und fragte unverzüglich: »Was machen wir jetzt mit Petra?«
    »Petra?« wiederholte er, als müsse er sich überlegen, wer das sei.
    »Sie hat dich verletzt.«
    »Mich kann niemand verletzen«, erwiderte Martin schroff.
    »Doch«, sagte Eva, »wenn es um deine Mutter geht.«
    Verbissen schweigend setzte er sich. Schließlich sagte er: »Du hast recht. Solange es sich nur um mich handelt, kann Petra tun, was sie will, aber bei Maman hört das auf.« Er sprach heftig. »Sie weiß, wie Maman sie braucht, wie sie an ihr hängt und wie schlecht es ihr geht. Wenn sie glaubt, dieses Scheusal von Bettina vorziehen zu sollen«, seine Hände fuchtelten drohend, »dann hat sie sich entschieden.« Er wartete, bis ihn Eva ansah, »… und ich mich auch«, setzte er hinzu.
    »Ich werde morgen mit Petra sprechen«, sagte Eva.
    »Das wirst du lassen!« erwiderte er scharf.
    »Was wird Madame dazu sagen?« fragte sie.
    »Ich lasse mich nicht erpressen«, entgegnete Martin hart, »nicht von meiner Tochter – und nicht einmal zugunsten meiner Mutter.«
    Eva richtete ihm einen Whisky und schob Martin das Glas zu. Alkohol, dachte sie, die Droge der Stunde, die Neurose der Zeit. Sie suchte Worte, die sie nicht fand. Wie sagt man so etwas? dachte sie aufgebracht. Weißt du, daß deine Mutter bald sterben muß? Daß sie Blutkrebs hat? Daß die Ärzte dich, von ihr dazu gezwungen, systematisch belügen und ich es auch eine Zeitlang tat?
    »Zum Wohl!« sagte Martin und hob das Glas.
    Sie setzte sich neben ihn und sagte vorsichtig: »Martin, du weißt, daß es deiner Mutter sehr schlecht geht …«
    »Was du nicht sagst«, erwiderte er.
    »Leider viel schlechter – als du denkst …«
    »Ach nein!«
    »Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll …«
    »Was?« fragte Martin und fuhr hoch. Er starrte Eva in das Gesicht – in ein Gesicht, das nicht länger lügen wollte und konnte. »Woher weißt du das?« fragte er dumpf.
    »Von ihr …«
    »Warum sagt Maman es dir«, entgegnete er

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