Die wilden Jahre
wie gut er über ihr Privatleben informiert sei. Jetzt schien er, umständlich über Unnötiges sprechend, vergessen zu haben, daß ihn der Staatsanwalt aus bestimmtem Anlass aufgesucht hatte, erinnerte sich schließlich und fragte, als wüsste er es nicht: »Was kann ich für Sie tun, mein lieber Rothauch?«
»Ich bitte um Ihren Rat, Herr Staatssekretär.«
»Sie wissen, daß ich Ihnen immer zur Verfügung stehe«, antwortete Schlemmer, »handelt es sich um …«
»… um den Fall Ritt-Brenner«, unterbrach ihn der Staatsanwalt.
»Wollen Sie mich außerdienstlich sprechen?«
»Inoffiziell, Herr Staatssekretär«, antwortete Rothauch beflissen, um mit schnellen Worten eine exakte Analyse aufzuzeigen. Er reihte Verdachtsmomente aneinander, sauber geordnete Indizien, skizzierte Entlastungsmomente und zerpflückte sie in der kurzen, knappen Sprache des Erfolgssicheren.
Dr. Schlemmer hörte ihm aufmerksam zu.
»Saubere Arbeit«, lobte er schließlich. »Aber das wissen Sie ja selbst. Nur verstehe ich nicht, was Sie nun von mir …«
»Ich möchte einen Haftbefehl erwirken«, erklärte Rothauch.
»Bei mir?« fragte ihn Schlemmer mit heiterer Stimme.
»Natürlich nicht. Aber bei Ritt handelt es sich immerhin um den Inhaber einer Firma mit Milliardenumsätzen – und da wollte ich nicht einfach blindlings …«
»Ich denke«, entgegnete der Staatssekretär, »vor dem Gesetz sind alle gleich.«
»Das schon«, stimmte Rothauch zu, »trotzdem empfiehlt sich hier wohl einige Vorsicht.«
»Vorsicht empfiehlt sich in jedem Fall«, belehrte ihn Schlemmer. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Mann wie Sie – ausgerechnet in einem solchen Fall – nicht weiter wüsste.«
»Ich bin kein Spezialist für Wirtschaftsfragen«, sicherte sich der Staatsanwalt den Rückweg, »aber Ritt in Untersuchungshaft, das könnte unter Umständen den Zusammenbruch seiner Firma mit sich bringen.«
»Ich verstehe Sie noch immer nicht, Herr Kollege«, unterbrach ihn Schlemmer, »entweder haben wir das Legalitätsprinzip oder nicht – entweder sind alle vor dem Gesetz gleich oder nicht. Wenn Ihnen eine strafbare Handlung, die ich verübt hätte, bekannt wird, so müßten Sie gegen mich doch genauso vorgehen wie gegen Herrn Huber, Meier oder Ritt.« Er sah, daß Rothauch immer noch darauf wartete, ermuntert oder gebremst zu werden, und setzte hinzu: »Die Frage ist nicht, ob eine Untersuchungshaft schädlich, sondern ob sie nötig ist. Das kann ich nicht beurteilen.« Der Staatssekretär begleitete ablehnende Worte mit wohlwollender Miene. »Ich will es auch nicht. Nicht im Falle Ritt wenigstens und zwar aus rein persönlichen Gründen, die ich Ihnen jetzt vertraulich mitteile. Ich bin der sachliche Gegner seiner geschäftlichen Methoden, die ich für schädlich halte – was meine private Meinung als Staatsbürger ist –, und vielleicht bin ich nicht ganz unvoreingenommen.«
Sein Lächeln baute dem Ehrgeiz des Staatsanwalts eine Brücke. »Ich muß Ihnen sagen, daß Ritt der geschiedene Mann meiner Frau ist und daß es wegen des Kindes zu nicht gerade schönen Auseinandersetzungen gekommen ist. Gerade deswegen«, Schlemmer sah zum Fenster hinaus, »bitte ich Sie, Herr Kollege, in dieser Sache mich nicht mehr zu konsultieren. Privat«, setzte er nach kurzer Überlegung hinzu, »bitte ich Sie, solange dieser Fall schwebt, auch zu unseren Donnerstagsgesprächen nicht zu erscheinen. Ich bedauere das wirklich außergewöhnlich, aber wir wollen auch jeden noch so an den Haaren herbeigezogenen Anschein vermeiden …«
»Selbstverständlich, Herr Staatssekretär«, antwortete Rothauch.
»Sie haben eine schwere Entscheidung vor sich, lieber Freund«, verabschiedete ihn der Politiker. »Wie sie auch ausfällt, niemand wird Ihnen die Lauterkeit Ihrer Absicht abstreiten können.« Er gab dem Staatsanwalt die Hand und geleitete ihn zur Tür, was er sonst nie tat. »Außerdem müssen Sie nicht mich von den Haftgründen überzeugen, sondern den Ermittlungsrichter. Ich begrüße es, daß zwei Beamte sich eine Verantwortung teilen, die so – so schwerwiegend ist.«
Rothauch ging; der Staatssekretär saß an seinem Schreibtisch und dachte nach; dann skizzierte er eine Aktennotiz über das Gespräch, die zusammen mit Verfügungen in anderer Sache auf dem Dienstweg an den Minister weiterging und von diesem abgezeichnet noch am gleichen Tag zurückkehrte, um fortan in den Archiven des Rechtsstaats verwahrt zu werden.
Eva hatte sofort
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