Die wilden Jahre
erregt, »und nicht mir?«
»Weil sie es vor dir verbergen möchte – weil sie nicht haben will, daß du siehst, wie sehr sie leidet. Sie hängt so an dir wie du an ihr …«
»Und welche Rolle spielst du dabei?« fragte Martin drohend.
»Es ist schrecklich, Martin – dumme Worte – es ist hoffnungslos – es ist das Schlimmste, was einem Mann wie dir …«
In diesem Moment brach für Martin die Mauer des Schweigens, und er begriff das Ausmaß der Lüge, das ihn zu einem düpierten Tölpel gemacht hatte. Er begriff, daß hier alle Machtmittel des Geldes versagen mußten, daß er, der alles zu kaufen pflegte, etwas nicht erwerben konnte, wofür er jeden Preis entrichtet hätte: ein Leben – das Leben Mamans; und er sah sich verurteilt, ihrem Untergang hilflos zusehen zu müssen. Er begriff, mit hängenden Armen und dem verzerrten Gesicht eines Gewaltmenschen vor Eva stehend, daß selbst sie zu den Verschwörern gehörte.
»Martin – sie hat«, sagte Eva gequält, erschöpft, »Blutkrebs …«
Übermannt von Angst, Zorn und Panik, vom Wahnwitz der Minute, hob er die Fäuste und hämmerte im entfesselten Ausbruch wider die Krankheit, wider die Ohnmacht, wider die Lüge, wider den Tod – und alles, was Martin hasste, trug Evas Gesicht, und so schlug er zu, brutal, im rasenden Wirbel, bar jeder Besinnung.
Eva sank zusammen, und Martin ließ sie liegen und stürmte, ohne sich nach ihr umzudrehen, aus der Wohnung.
Diesmal kam Rothauch während der Mittagszeit in das Polizeipräsidium, erfuhr, daß Dr. Kleinlein zu Tisch gegangen sei, begab sich in die Kantine und sah erfreut, daß der Ermittlungsrichter allein an einem Tisch in der Ecke saß, unauffällig, schäbig gekleidet, unbedarft wirkend, einer, der sich kaum von den unteren Chargen unterschied, ein kleiner Fisch im Meer der Gerechtigkeit, und doch der Mann, den der Staatsanwalt jetzt brauchte.
»Lassen Sie sich bitte nicht stören, Herr Kollege«, begrüßte er ihn freundlich. »Es ist ganz gut, daß wir hier unter uns sind …«
»Ist schon einmal etwas aus meinem Büro herausgetragen worden?« fragte der Ermittlungsrichter unwillig.
»Nein, wirklich nicht.«
»Eben«, versetzte Dr. Kleinlein lapidar. »Immer noch dieselbe Sache?« fragte er dann.
»Ein klarer, wenn auch schwieriger Fall«, leitete der Staatsanwalt seinen Antrag ein, »so heikel und so vertraulich, daß ich …«
»Also, Sie wollen diesen Ritt verhaften«, erwiderte der Ermittlungsrichter so geradeheraus, daß sich Rothauch erschrocken nach Mithörern umdrehte. »Ich verstehe nicht recht, warum Sie mit diesem Mann soviel Aufhebens machen.«
»Sie wissen ja, die Sicherungsgruppe war mit dem Fall befasst; ich habe die Akten direkt aus den Händen der Bundesanwaltschaft übernommen.« Er lächelte werbend. »Aber ich bin Partei. Ich will Sie auch nicht mit Worten überreden, sondern durch Unterlagen überzeugen, Herr Kollege.« Er wartete geduldig, bis Kleinlein ein lustloses Essen mit einer hastig gerauchten Zigarette beendet hatte. »Außerdem möchte ich Sie kollegialiter davor warnen, daß der Fall bei der Presse vermutlich Lärm auslösen …«
»Das wäre mir egal, solange Ihre Haftgründe ausreichen.«
Im Büro überreichte Rothauch dem Ermittlungsrichter die Akten so behutsam, als seien sie nicht Papierbogen, sondern hauchdünnes Porzellan. Er beobachtete, wie Kleinlein die Unterlagen mit fast verletzender Gleichgültigkeit durchging, ohne Eifer und Zorn und ohne erkennen zu lassen, wie sehr ihn die Tüchtigkeit des Staatsanwalts beeindruckte und wie sehr ihn sein Zelotenfleiß verdross.
»Sie haben sich eine ganz schöne Arbeit gemacht, Herr Kollege«, sagte der Ermittlungsrichter, »bis in das Jahr neunzehnhundertsiebenundvierzig sind Sie zurückgegangen, um die Bekanntschaft Ritt-Brenner zu verfolgen. Aber da war dieser Brenner ja noch ein Kind. Wie kommen Sie mit ihm voran?«
»Überhaupt nicht«, gestand Rothauch. »Ich kann diesen Burschen erst zermürben, wenn Ritt verhaftet ist.« Er berichtete über den misslungenen Kassiberversuch. »Nur ein Mann, der ein schlechtes Gewissen hat, kann so abgebrüht und wachsam sein.«
Dr. Kleinlein klappte das Dossier zu. »Der Tatverdacht ist wohl ausreichend«, erklärte er.
»Ich glaube auch …«
»Wären also noch die Haftgründe zu prüfen. Verdunklungsgefahr ist gegeben …«
»Sicher«, antwortete der Staatsanwalt, »für diesen Mann sind Millionen nur ein Taschengeld. Außerdem besteht
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