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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Fluchtgefahr.«
    »Na, na«, dämpfte der Ermittlungsrichter Rothauchs Eifer, »ein Mann, der so viel Vermögen hat, wird nicht flüchten.«
    »Oder doch«, entgegnete der Staatsanwalt, »wenn er zum Beispiel große Teile seiner Firma in Aktien umsetzte und das Geld womöglich ins Ausland verschob …«
    »Anhaltspunkte?«
    »Das nicht«, antwortete Rothauch gedehnt, »dieser Ritt ist eine Art Selbstversorger und verwahrt die eigenen Aktien in seiner Hausbank, so daß ich auf Schätzungen angewiesen bin.«
    »Wenn Sie auf den Haftbefehl warten, Herr Kollege«, sagte Kleinlein nach kurzer Überlegung, »muß ich Sie leider um Geduld bitten.«
    »Ich habe Zeit«, erwiderte der Staatsanwalt geschmeidig.
    Der Ermittlungsrichter ging zum zweiten Mal die Unterlagen durch. Keine Lücke hatte seinen Verdacht erregt, nur die Emsigkeit des Staatsanwalts sein Misstrauen geweckt; er suchte mit der Lupe nach Ungenauigkeiten, die er nicht fand.
    Dr. Kleinlein wußte nichts von der Feindschaft zwischen dem Ehepaar Schlemmer und dem Beschuldigten; er kannte die Ritt-Legende nicht, da er Boulevardblätter verabscheute; wirtschaftlichen Fragen begegnete er allenfalls im Haushaltsbuch seiner Frau, und von Ritts Bedeutung in der Wirtschaft begriff der Beamte nur so viel, daß der Verdächtige reich war. Reich war nach seiner Meinung ein Mann, der einen Hundertmarkschein verlieren konnte, ohne es zu merken.
    Wenn jemand viel Geld hatte, ließ das automatisch auf Verdunklungsgefahr schließen, denn er konnte Zeugen kaufen, auf Reisen schicken, das Stillschweigen kommerzieller Partner erzwingen, mit Hilfe seines finanziellen Übergewichts Aussagen abschwächen oder auch Gedächtnislücken mit Gold ausfüllen … Reich – das hieß in der inoffiziellen Amtssprache der Voruntersuchung: mehrere Rechtsanwälte, die besten Rechtsanwälte, weit reichende Verbindungen, einflussreiche Hintermänner.
    Häufig hatten Angestellte erst dann den Mut, gegen ihren Chef auszusagen, wenn er im Gefängnis saß; war dieser Schritt erfolgt, dann verwandelten sich erfahrungsgemäß nicht selten freundliche Helfer in feindliche Zeugen.
    »Sie können Ihren Haftbefehl haben«, sagte Dr. Kleinlein.
    »Auch die verschärfte U-Haft?« fragte Rothauch.
    »Ich bin kein Freund davon«, erklärte der Ermittlungsrichter.
    »Ich auch nicht«, stimmte der Staatsanwalt zu.
    »Schön – auch das also«, gewährte Kleinlein, »aber lange möchte ich diese Maßnahme nicht …«
    »Wäre auch unnötig«, entgegnete Rothauch, steckte den Haftbefehl mit der umständlichen Sorgfalt ein, die einer hohen Banknote gebührt, und verabschiedete sich von dem Ermittlungsrichter eilig und herzlich.
    Krawuttkes Büro lag im gleichen Flügel des Polizeipräsidiums. Bevor von Rothauch der Haftbefehl erwirkt worden war, hatte der Zuverlässige die nötigen Vorbereitungen getroffen, vier Beamten standen auf Abruf bereit, zu einer Sonderaktion, die sie nicht kannten.
    »Es geht los, Krawuttke«, begrüßte ihn der Staatsanwalt. »Nehmen Sie lieber einen Mann mehr als einen zu wenig. Ich möchte kein Risiko eingehen.«
    »Jawohl, Herr Staatsanwalt.«
    »Wir haben es mit der Vollstreckung nicht eilig«, erläuterte Rothauch, »zunächst möchte ich einmal, daß dieser Ritt auf Schritt und Tritt überwacht wird – unter keinen Umständen eine Festnahme in der Öffentlichkeit.«
    »Wie in München also?«
    »Ja. Aber ich sehe noch eine Möglichkeit: Dieser Mann verreist oft ins Ausland, vielleicht trifft er gerade Vorbereitungen. In diesem Fall wäre ich dafür, daß die Sache fulminant über die Bühne geht.«
    »Verhaftung beim Fluchtversuch?«
    »Genau«, antwortete der Staatsanwalt und gab zu verstehen, daß sogar – sollte diese Möglichkeit eintreten – ein Wink an die Presse nicht schaden könnte: Schnappschuss auf dem Flugplatz, spektakuläre Verhaftung eines umstrittenen Wirtschaftsmagnaten – sonst müsse man Ritt wohl in seiner Wohnung festnehmen. »Noch etwas«, sagte Rothauch beim Abschied. »Ich bin für Sie ab sofort stets zu erreichen, auch in der Nacht. Halten Sie mich auf dem laufenden, und ich sage Ihnen, wann wir zugreifen. Diesmal«, schloß er, »möchte ich selbst dabeisein.«
    Der Staatsanwalt nahm die Einweisung und Belehrung seiner Helfer selbst vor und sah, wie auch sie es als Delikatesse genossen, einmal an einem Fall mitarbeiten zu dürfen, der sie dem Trott des Alltags entriss.
    »Seien Sie vernünftig«, sagte Professor Sturm, »nichts wurde versäumt.

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