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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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gestört werden könne.
    »Holen Sie ihn sofort an den Apparat!« befahl Schiele scharf.
    »Mit Billigung deiner Mutter?« fragte er nun Petra.
    »Mit Wissen meiner Mutter«, antwortete sie zornig.
    Martin meldete sich, er wirkte abgespannt, müde.
    »Ritt«, begann der Jurist, »Ihre Tochter ist bei mir. Ich schicke sie Ihnen …«
    »Petra?« fragte Martin mit einer Stimme, die etwas heller klang.
    »Hören Sie sich an, was sie Ihnen sagt, und sorgen Sie dafür, daß sie mit niemandem sonst spricht. Dann kommen Sie auf schnellstem Weg hierher.«
    »Was soll das?« fragte Martin.
    »Sie sollen zuhören, Ritt«, entgegnete Schiele eindringlich, »sollte es zu spät sein – ich kümmere mich um sie.«
    Er legte auf.
    »Du hast gehört, was ich deinem Vater sagte – und nun sei vernünftig, Petra. Versprichst du mir das?«
    »Ja«, erwiderte sie.
    »Du hast dich fein benommen – aber nun sei nicht töricht«, sagte er zu einer Petra, die nicht mehr zornig war.
    »Ich habe eine Überraschung für dich, Maman«, sagte Martin, als er vom Telefon zurückkam. »Stell dir vor, Petra kommt zu uns zurück. Jetzt gleich«, setzte er hinzu, da er annahm, Madame habe ihn nicht verstanden oder traue seiner Mitteilung nicht. »Sie ist schon abgefahren.«
    »Das ist – ist schön.« Die Patientin lag in einem breiten seidenbezogenen Bett unter einem samtenen Baldachin, halb aufgerichtet, von Kissen gestützt, von denen sich ihr Gesicht klein und spitz abhob. Ihre Augen waren groß und klar. Das Sprechen fiel ihr schwer, ein zartes Lächeln huschte über ihre Lippen. »Du 'ast sie uns zurückgeholt?« fragte sie.
    »Nein, wirklich nicht«, erwiderte Martin, »sie kommt freiwillig.« Er sah, wie es sie beglückte. »Sie kommt auch nicht zu mir«, fügte er hinzu, »Petra kommt zu dir – dir verdanke ich das, Maman.«
    »Du wirst nicht mehr so zornig mit ihr sein, filou?«
    »Das kann ich dir nicht versprechen«, entgegnete er zerknirscht, »aber ich habe ja dich. Du bringst das schon immer wieder in Ordnung, nicht?«
    Madame Rignier schloß die Augen und schien schon zu schlafen, aber das Lächeln blieb.
    »Dann habe ich noch mit dem Professor gesprochen«, fügte Martin hinzu.
    Ihre Lider hoben sich, die Pupillen wirkten unnatürlich groß, glänzend, fiebrig.
    »Er ist mit dir ganz zufrieden«, fuhr Martin fort, »er meint, daß es für dich an der Côte d'Azur zu heiß war.«
    »Er ist ein alter Schwätzer«, entgegnete Madame, »aber ein sehrr gute Arzt.«
    »Wir lassen jetzt ein neues Medikament für dich aus Amerika kommen, Maman. Erinnerst du dich noch an Doc Snyder – du weißt, der Arzt, der damals Felix kuriert hat! Er hat das neue Mittel entwickelt und ist heute ein großer Mann, soll sogar für den Nobelpreis vorgeschlagen sein.« Martin sah, daß Maman seine Worte erfasste. »Ich habe mit ihm gesprochen. Er kommt herüber – nicht als Arzt, er macht eine Europareise – und besucht uns – er wird dich anschauen. Keine Angst, Maman, keine große Untersuchung«, tröstete Martin, »auch der Professor ist dafür.«
    »Du machst wieder so eine Filouterie?« fragte die Patientin, »aber du weißt ja, wie gern ich mich von dir 'ereinlegen lasse …«
    »Du mußt gesund werden, Maman.«
    »Ich werde es auch«, antwortete sie leise, »ich weiß es.« Sie bat Martin mit den Augen, sich auf den Bettrand zu setzen. Sie suchte seine Hand, streichelte sie mit nachlassender Kraft, aus der unendliche Zärtlichkeit strömte, die Martin überwältigte und von ihm zurückkam, ihr verdämmerndes Leben mit Freude füllte und zu einem winzigen schönen Lächeln gerann, mit dem sie einschlief, sanft, übergangslos, noch immer eine Hand festhaltend, die sie nicht loslassen wollte und doch nicht mehr lange halten konnte.
    Er löste sich behutsam von ihr, zog die Decke über sie, blieb über sie gebeugt stehen, bis sein Rücken schmerzte, hörte ihre Atemzüge und spürte, wie sich seine Kehle zuschnürte und die Angst der Jahre sich zum Verzicht der Minute steigerte, in der er Abschied nahm.
    Leise trat er von ihrem Bett weg. Seine Hand berührte die Rokokokommode mit der Intensität eines Blinden und streichelte sie; er betrachtete die Bilder an der Wand, den Gobelin, die Teppiche, sah wieder zu Maman hin, zu dem grazilen, fragilen Leben, das schmal und arm von der Decke verhüllt war, und erfasste, daß sie nie ganz von ihm gehen, daß sie weiterleben würde in diesem Raum, zwischen dessen kostbaren Möbeln die Zeit stehen

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