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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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weil er es umständlich anstellte, um eine Gruppe, die ihn anrief, herumturnen mußte, einer verblühten Blondine die Hand zu küssen hatte, von weiteren Gästen in ein Gespräch verwickelt wurde, von dem er sich nur langsam in Richtung Eva lösen konnte.
    Bevor er sie erreichte, ging sie zum Büffet, ihm aus dem Weg.
    Der Hausherr holte sie in offener Verfolgung ein. »Ritt«, stellte er sich vor. »Wer sind Sie?«
    »Ihr Gast«, erwiderte Eva. Sie ließ Kaviar und Gänseleber stehen und ging, den Kreis der sich sammelnden Zuhörer verlassend, in eine Ecke. Er folgte ihr. Sie kamen an dem Hausdichter vorbei, Eva sah ihm nach, lächelte und fragte belustigt: »Haben Sie das gedichtet?«
    »Nein, bezahlt«, antwortete Ritt lachend. »Sie gefallen mir.«
    »Man merkt es«, sagte sie.
    »Ich sage das selten.«
    »Ich weiß es zu schätzen.«
    Im Weitergehen legte sie flüchtig ihre Hand in seinen Arm. Von der Stelle aus, an der sie ihn berührte, weitete sich die Wärme wie ein Wellenring über seinen Körper.
    »Ich habe mich eingeschlichen. Lassen Sie mich nun hinauswerfen?« fragte Eva.
    »Ich denke nicht daran«, antwortete er.
    »Ich vertrete einen Bekannten, der mir seine Einladung überließ. So kam ich hierher.«
    »Warum eigentlich?«
    »Ich gehe so gern auf Cocktailpartys«, erklärte sie lächelnd. »Ich finde es amüsant, wenn jeder mit jedem, den er nicht kennt, über Dinge spricht, von denen er nichts versteht.«
    »Sie müssen viel freie Zeit haben.«
    »Außerdem«, sagte sie, »interessieren mich auch Menschen – ich wüßte gern, was Sie eigentlich sind.«
    »Für die meisten eine Legende, für manche ein Alptraum und für einige eine gute Geschäftsverbindung.«
    »Und was sind Sie für sich selbst?« fragte sie weiter.
    »Eigentlich nur ein Mensch, der sich ungern beugt.«
    »Also ein Mann mit Hohlkreuz?«
    »Ein Mann mit Erfahrungen«, antwortete Ritt, »und was, Aschenbrödel, sind eigentlich Sie?«
    »Nicht viel, ein Mensch, der zu seinen Fehlern, eine Frau, die zu ihren Sünden steht.«
    »Sündigen wir«, entgegnete er und zog sie in eine Nische, »zunächst am kalten Büffet.«
    An mehreren Plätzen waren zur Entlastung der Anrichte kleine Tische mit Delikatessen aufgebaut; sie sollten die Gäste auseinanderziehen. Ritt ließ sich zwei Teller geben, Meißener Porzellan; Besteck, englisches Silber; Servietten, irisches Leinen, Florentiner Ajourarbeit; er nahm Lachs, Kaviar, salade niçoise, drehte sich zu Eva um, deutete auf den Aal.
    Sie nickte ihm zu.
    Es freute ihn. Er mochte Menschen nicht, die nach der Briefwaage aßen, um sich eine synthetische Figur anzuhungern.
    Sie saßen nebeneinander und wirkten für die Umstehenden wie ein Liebespaar nach dem ersten Erlebnis.
    Martin sah zu Eva hinab, an ihrem Nacken entlang; er spürte einen seltsamen Drang, ihn zu streicheln.
    »Ich habe natürlich viel von Ihnen gehört«, sagte Eva, die unbefangen, kaum beeindruckt war, »aber nie begriffen, was Sie eigentlich machen.«
    »Geld«, erwiderte er lachend, »aber ich bin kein Falschmünzer.« Er sah zur Tür und wandte sich ihr wieder zu. »Ganz einfach: Ich nehme von den einen überschüssiges Geld und verschaffe es den anderen, die es benötigen.«
    »Also eine Art Bankier?«
    »Nicht ganz, denn ich besorge in kürzerer Zeit höhere Kredite zu niedrigerem Zinsfuß.«
    Während er sprach, ließ er sie nicht aus den Augen. Es schien ihm, daß er noch nie schönere Beine gesehen hatte: sichere Beine, vergnügte Beine, Beine, die wußten, wohin sie wollten.
    »Entweder sind Sie ein Zauberer – oder ein …«
    »Kein Hochstapler«, unterbrach er sie, und erklärte ihr geduldig sein Rotationssystem, das daraufhinauslief, Gelder, die ihm die Versicherungen kurzfristig überließen, als langfristige Darlehen weiterzureichen.
    »Aber lassen wir doch diese langweiligen Details«, schloß er lachend. Er sah, daß ihn eine Gruppe von Bankleuten musterte, die sich in der Ecke zusammengefunden hatte: Herren in der Uniform der Börse, dunkle Anzüge und weiße Hemden mit den gestärkten Kragenecken der Redlichkeit. Einige von ihnen waren hager wie junge Bettelmönche, andere wirkten wie satte Kleinbürger. Zwar besaßen diese Herren persönlich höchstens Millionen, aber als Manager, Geschäftsführer und Treuhänder verfügten sie über Milliarden; die Mark, in ihrer Hand zu Kapital gehäuft, war Macht, die zur Allmacht strebte. Im Schatten der Unsummen, die die Wirtschaftsführer kontrollierten, wirkten

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