Die wilden Jahre
derzeitigen, ehemaligen und künftigen Managerbegleiterinnen auf, weil sie sich von ihnen unterschied.
Sie trug keinen Pelz über den Schultern, deren gebräunte Haut den Kenner aufzufordern schien, sie zu berühren. Das fast ungeschminkte Gesicht war frisch. Man merkte ihm an, daß es vieles gesehen hatte und dennoch neugierig geblieben war: jung, gespannt, verliebt in das Leben.
Vielleicht überschätzte Martin dieses Gesicht, weil es ringsum von Masken umgeben war oder weil er schon begann, Träume zu investieren. So zwang er sich jetzt zur Sachlichkeit und stellte fest, daß die junge Frau noch nicht dreißig war, mittelgroß, voll, doch schlank, von reizender, aufreizender Figur, die keine Nachhilfe benötigte. Ihre Haare zeigten ein bräunliches Rot als hübschen Gegensatz zu den hellen Augen, deren Iris grün-blau schimmerte.
Eva bemerkte, daß er sie ansah. Ihre Augen trafen sich. Keiner wich dem Blick des andern. So musterten sie einander ohne Hemmung, während der Festredner sagte:
»Ich kann es doch nicht ganz lassen, das Bild unseres Gastgebers mit ein paar raschen Strichen zu zeichnen.«
Eva verstand sich auf Gesichter. Obwohl sie Ritt heute zum erstenmal begegnete, hatte sie ihn beim Eintritt sofort erkannt: die Titelbilder der Zeitschriften, die an den Kiosken aushingen, wirkten wie eine schlechte Kopie.
Sein Mund ist zwiespältig, dachte sie, bald spielen die Lippen im kindlichen Trotz, dann geben sie sich wissend, illusionslos. Die schmale asketische Oberlippe paßt nicht zu der unteren, die voll und sinnlich ist. Vielleicht gibt die Disharmonie diesem Mund den Reiz. Melancholie auf der Flucht in den Spott; Ironie auf dem Weg zur Melancholie. Ein steter Fluß, der verrät, daß die Gefühle dieses Mannes einander so oft widersprechen wie seine Lippen.
»Wäre der Jubilar nicht einer unserer großen Wirtschaftsführer, würde ich wagen, ihn einen romantischen Sozialisten zu nennen. So freilich verbietet sich der Vergleich. Aber ich darf sagen, daß es wohl der Husarenritt Martin Ritts war, Gegensätze in die Einheit zu gießen: von Herz und Pflicht«, sagte der Dichter.
Die schnellen Spottfalten an seinen Mundecken turnten steil nach oben, zur Nase hin. Dieser Gebrauchspoet, dachte Martin, spricht so parfümiert, wie er schreibt. Der arme Poet in der Dachstube ist längst verhungert. Der Dichter von heute deklamiert zwischen rauchenden Schornsteinen Fabrikprosa, die man auf Bütten druckt und mit vierstelligen Schecks honoriert. Die Schecks sind immer gedeckt und die Worte fast immer geleckt. Wer zahlt, schafft an, und wer Geld genommen hat, kann es auch wieder ausgeben.
Unvermittelt begegnete Martin wieder Evas Blick. Er ließ sofort den Dichter fallen und sah nur noch helle, klarsichtige Augen, die gut zu der runden Stirn, zu der zierlichen Nase paßten. Nichts an dieser Unbekannten schien naiv oder verstellt. Sie wirkte offen wie eine Herausforderung und zeigte genauso unbekümmert wie der Gastgeber ihre Verachtung der Konvention.
»Ich darf Ihnen verraten«, sagte der Dichter, »daß unser Freund – so darf ich Sie doch nennen, lieber Martin Ritt – auch als Offizier an der Front des furchtbaren Zweiten Weltkrieges Pflicht und Herz vereinte, ganz und gar seinen Mann stellte, ungern zwar, aber unbeirrbar. Daß er dann, was er viel unpathetischer formuliert, als Widerstandskämpfer gegen den Ungeist der Zeit anrannte, in langen bitteren Jahren, die wir in innerer Emigration …«
Eva sah zum erstenmal, daß sich in Ritts Gesicht etwas anderes als der Mund bewegte. Ein paar schnelle interessante Falten zogen sich über die Region der Augen. Vorsicht, dachte sie, sonst werden diese Krähenfüße zu Pferdefüßen seines Charmes.
Sie betrachtete seine Hände. Sie waren kräftig und sensibel, auch ein Widerspruch, fand sie, die Hände eines Pianisten, der in seiner Freizeit boxt. Sie spürte, daß sie hilflos sein würde, wenn diese Hände sie anfaßten. Hübsch, diese von dunklen Haaren umsäumte Stirn, hinter der sich die Einfälle jagten, überlegte sie. Sei vorsichtig, dieser Mann nimmt sich, was er will, und verachtet, was er hat, und wenn du ihm nicht gleich aus dem Weg gehst, wird es zu spät sein …
»Leider bedarf das politische Engagement«, sagte der Redner, »auch heute schon wieder des persönlichen Mutes. Nun, wir haben aus der Vergangenheit gelernt, die Gegenwart zu meistern, diese Konstruktion aus Illusion und Resignation.«
Martin betrachtete wieder Eva. Sie trug ein
Weitere Kostenlose Bücher