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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Kleid aus schwarzem Seidenjersey, das an den Schultern mit einer schmalen Samtblende gefaßt war und gerade so viel Haut frei ließ, daß der Betrachter Appetit auf den ganzen Körper bekam, wie Martin, der ihr ohne Gier und ohne Hemmung das Jerseykleid über die Schultern zog, sie ungeniert betrachtend, zufrieden mit dem Anblick; er hatte nichts anderes erwartet als überlange Beine und einen Körper ohne Mieder, schön wie eine klassische Statue, doch blutwarm.
    »Auch war dem Hausherrn das soziale Anliegen immer ernst«, sagte der Sprecher. »Dieser Wirtschaftskapitän hat sich niemals der Verantwortung für den Mitmenschen entzogen. Alle seine Mitarbeiter, denen ich hier begegne, wirken beschwingt, mitgerissen wohl von seinem Schwung: sie alle tragen das Betriebsklima der Zufriedenheit sozusagen im Gesicht.«
    Er hat dich mit seinen frechen Augen ausgezogen, sagte sich Eva, und wenn du nicht bald lernst, dich besser zu beherrschen, wird er schnell merken, wie gut er dir gefällt – wenn er es nicht schon weiß …
    »Früher war es Aufgabe der Fürsten, die Kunst zu fördern«, sagte der Redner, »heute sind die Männer von Industrie und Finanz Mäzene geworden, die sich des kulturellen Anliegens annehmen. Auch hier wieder Martin Ritt an der Spitze, dem ich im Namen der jungen Maler, Bildhauer, Musiker und Autoren, die er förderte, danken möchte. So bitte ich Sie alle, verehrte Anwesende, Ihr Glas zu heben und …«
    Ihre Wirkung kommt nur von den Augen, dachte Martin. Sie beleben und beherrschen das ganze Gesicht. Sie sind so attraktiv auf ihre Haarfarbe abgestimmt, daß sie falsch sein muß. Oder nicht? Mitunter hat die Natur den besseren Geschmack. Hübsch, dieser Flimmer: grün, blau, grün-blau – türkis, das ist die Farbe. Wenn du sie noch lange anstarrst, dann weiß sie ganz genau, was du von ihr willst, wenn sie es nicht schon sah.
    Der Beifall rauschte, während der Industriepoet als erster mit dem Hausherrn anstieß, dessen Champagnerglas gemäß der Absprache bei dem Stichwort ›Mäzen‹ gefüllt worden war.
    Die anderen Gäste folgten, soweit sie nicht damit aufgehalten waren, dem Dichter Artigkeiten zu sagen, der ihre Komplimente ergeben wie Pralinen aus der Hand einer alten Dame nahm, Süßigkeiten, die er schlucken mußte, obwohl er sich nichts aus ihnen machte.
    Die poetisch entflammte Gratulationscour nahm den Hausherrn in die Mitte. Er mußte Hände drücken, mit Gläsern anstoßen, Glückwünsche erwidern, während seine Augen die junge Frau im schwarzen Jerseykleid suchten.
    Noch immer fehlte der Staatssekretär; es hätte sich herumgesprochen, daß er weder Glückwünsche noch eine Entschuldigung gesandt hatte, was einige der Gäste der Frage auslieferte, ob sie nicht doch besser den Empfang gemieden hätten.
    Zwischen ihnen stand Eva am Fenster und sah nach unten. Die Menschen auf der Straße wirkten winzig und schwarz wie Ameisen, Insekten, von den Managern im dreizehnten Stock des Zementklotzes beherrscht und gelenkt.
    Eva fing Gerüchte und Gerüche auf, Höflichkeiten und Börsenkurse, und es schien ihr, daß die Baisse, die die Anwesenden am meisten fürchteten, die Krankheit war, denn sie gaben einander fortwährend Ratschläge für die Gesundheit, lobten Ärzte, rühmten Kuren. Sie ängstigte der Herzinfarkt; sie sorgten sich um die Leber, besänftigten den Magen durch Pillen.
    Sie wußte, daß sich diese Männer fast jeden Wunsch erfüllen konnten und doch bescheiden lebten. Da sie reicher waren als andere Sterbliche, überlegte die junge Frau, fürchteten sie auch den Tod mehr, obwohl ihr Ende in den führenden Tageszeitungen auf ganzen Anzeigendomänen mitgeteilt werden würde, wonach Tausende von Mitarbeitern Millionen von Lesern versicherten, wie unvergeßlich der Verblichene ihnen auch künftig bleiben werde.
    Eva sah zum Hausherrn hin. Neben seinen Gästen wirkte er robust und vital, ein Mann, der nachts gut schlief. Man sah ihm an, daß er nicht zur Kur nach Bad Kissingen fuhr und Baden-Baden höchstens vom Spieltisch her kannte. Er sorgte sich nicht um sein Herz, trank Alkohol, trotz der Leber, eisgekühlt, trotz der Nieren. Er rauchte durch die Lunge, und um seinen Blutdruck und Kreislauf schien er sich so wenig zu kümmern wie um Wohlwollen oder Feindschaft seiner Umwelt.
    Der Umgang mit der Macht, dachte Eva, der sie zermürbt, verjüngt Ritt. Sie kämpfen, er spielt; sie sind im Rudel, er bleibt allein.
    Achtung, er kommt, dachte sie und lächelte ein wenig,

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