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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Gerede davor und das Geschwätz hinterher.
    »Bitte«, sagte Martin, als er die junge aparte Frau wiedergefunden hatte, »werden Sie nicht wie diese Damen da – es wäre zu schade um Sie. Wissen Sie, wie Sie aussehen?« fuhr er fort. »Wie eine Irin in einem farbigen Hollywoodfilm.«
    »Und Sie«, entgegnete Eva, »wie ein Mann, dessen Rechnung heute aufgegangen ist.«
    »Sie sind ein kluges Kind«, erwiderte Martin, während er wieder zur Tür sah, als warte er auf weitere Besucher.
    Eva fiel es auf; es kann keinem Feind mehr gelten, dachte sie, also muß es sich um eine Frau handeln. Es muß eine erstaunliche Frau sein, die diesen Mann immer wieder zum Eingang sehen läßt.
    »Gibt es«, sagte Martin, »in Ihrem Leben einen Mann?«
    »Einen?« fragte sie lächelnd zurück.
    »… den man aus dem Felde schlagen könnte?«
    »Ich weiß nicht, aber wenn – dann vielleicht mit Zeit und Geduld.«
    »Leider fehlt mir meistens die Zeit«, erwiderte er, »aber meine Geduld könnte ich – wenn Sie mir eine Chance geben – am nächsten Wochenende beweisen. Wollen wir es in St. Moritz verbringen? Oder nach Teneriffa fliegen? Von mir aus auch ans Karibische Meer. Ich habe ein Privatflugzeug, eine Jacht, ein paar Chalets – und ich mache solche Angebote nur selten …«
    »Doch mitunter vergeblich«, entgegnete Eva.
    »Aber Aschenbrödel«, sagte Martin wenig zerknirscht.
    »Ich dachte mir schon«, erwiderte sie, »daß Sie Frauen kaufen, statt um sie zu werben. Jetzt versprechen Sie mir vielleicht noch einen Solitär als Morgengabe und für den abendlichen Besuch in der Spielbank ein Chinchillacape …«
    »Aber Aschenbrödel – so streng?«
    »Werden Sie bescheiden«, entgegnete sie heftig.
    Schade, dachte er, ein wenig enttäuscht, die Standarderöffnung, der Geldkomplex. Auch bei ihr also. Daß Frauen immer versuchen müssen, die Begierde mit vorgeblichem, vergeblichem Widerstand zu schüren. Sie sprechen von Bescheidenheit und warten darauf, durch Männer unbescheiden zu werden.
    Wieder schaute er zur Tür, erkannte die Eintretende und stand abrupt auf.
    »Bis später, Aschenbrödel«, sagte er hastig und ging mit schnellen Schritten auf die schlanke, elegante Frau am Eingang zu, die ihm zärtlich entgegensah – und Eva erkannte, daß Martin Ritt, der so sicher mit der Macht umging, dieser zierlichen Frau gänzlich ausgeliefert war.

II
    Sie war grazil und fragil, hatte junge Augen, die nur ihn sahen, weiche Lippen, die nur zu ihm sprachen, weiße, wie gepudert wirkende, sorgfältig zu Löckchen gedrehte Haare. Diese Frau um die Sechzig war klein und von einer Schwerelosigkeit, die sie wie eine Ballerina wirken ließ.
    Martin Ritt verlor die Größe, wenn er neben seiner Mutter stand. Er beugte sich zu ihr hinab, sie streckte sich zu ihm empor, bot ihm die Wange.
    »Maman«, sagte er und küßte sie.
    »Mon petit«, erwiderte Madam Rignier, »isch natürlich wieder viel ssu spät  …«
    »Naturellement, maman'«, sagte er lachend, »mais – ça ne fait rien.«
    Es war, als sei mit Madame Rignier, die in zeitlos romantischer Art schön war, ein Gast eingetreten, den man auf den Partys des Geldadels selten traf: die Noblesse.
    Er geleitete seine Mutter wie der Favorit eine Königin, und sie schritt, als schwebe sie im Takt eines verspielten Menuetts, einer leisen Rokokomelodie, die sich nur kurz hören läßt, um die Gegenwart ihrer kahlen Sachlichkeit zu überführen.
    Germaine Rignier ging auf hohen, extrem dünnen Stöcklein; sie hatte bestimmt ebensowenig je flache Absätze getragen wie lange Hosen. Wiewohl sie etwas zu modisch gekleidet war, wirkte sie wie die lebende Reminiszenz einer Zeit, in der eine Frau noch eine Frau und ein Mann noch ein Kavalier war: ein Reiter, ein Tänzer, ein Flaneur mit weißer Perücke, mit seidenen Kniehosen, mit reichen Spitzenjabots; ein Chevalier, der in jeder Lage wußte, wie und in welcher Sprache man seiner Dame ein Kompliment macht.
    Fasziniert verfolgte Eva die Wandlung seines Gesichts, es wurde unbefangen, verlor die Kerben an den Mundecken, den schroffen Ausdruck. Zum erstenmal an diesem Tag schien Martin ohne Reserve, ohne Vorbehalt, ohne Vorsicht zu sein.
    Er führte seine Mutter zur Mitte der Empfangshalle, warf ihr Namen und Titel seiner Gäste, aus denen er sich sonst nicht viel machte, zu wie Bälle, aber sie fing sie nicht auf, obwohl sich für jeden ein herzliches Lächeln und ein freundliches Wort hatte.
    Erstaunlich, dachte Eva, die Gegenwart einer

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