Die Wildkirsche. Erotischer Roman
hinteren Wagenreihe entdeckte er einen überdachten Käfig. Entschlossen steuerte er darauf zu. Am Boden lagen Stroh und Exkremente, deren Geruch beißend in seine Nase drang und ihn ein Stück zurücktaumeln ließ.
In der Ecke entdeckte er eine zitternde Gestalt, die schwer atmend zwischen verschimmeltem Brot und fauligen Fleischresten kauerte. In diesem Drecksloch wurde nicht etwa ein Tier gehalten, sondern ein Mensch! Und das auf die entwürdigendste Weise, die man sich vorstellen konnte. Die Narben und blutunterlaufenen Striemen am Rücken des Gefangenen zeugten von unentwegt ausgeübter Gewalt. Das Herz schlug Beaumont vor Zorn bis zum Hals. Wie grausam konnte der Mensch sein, dass er für Geld selbst vor der Versklavung seiner eigenen Art nicht haltmachte. Während er noch immer um seine Fassung rang, legte sich eine schwere Hand auf seine Schulter.
»Was willst du hier? Dieser Bereich ist nicht für die Zuschauer«, erklang eine knurrende Stimme hinter ihm. Als Beaumont sich umwandte, blickte er in das feiste Gesicht des Dickwansts.
»Ich bin Arzt. Lassen Sie mich seine Wunden behandeln, wenn Sie morgen wieder mit ihm auftreten wollen.«
Der Dicke warf einen skeptischen Blick in den Käfig und verschränkte die Arme vor seiner Brust. »Das ist nicht nötig. Es geht ihm gut.«
»Gut nennen Sie das? Er kann in dieser Kiste nicht einmal aufrecht stehen! Seine Wunden müssen gereinigt und versorgt werden!« Beaumonts Stimme überschlug sich vor Wut. Wollte der Kerl ihn für dumm verkaufen? Jeder, der nicht mit Blindheit geschlagen war, erkannte, dass die arme Kreatur litt!
Von Beaumonts Gebrüll angelockt, kamen die beiden anderen Gaukler vom gegenüberliegenden Wagen herbei. Der Jüngling, den Beaumont in Gedanken »Katzengesicht« getauft hatte, knabberte an einer Hühnerkeule und warf den Knochen, nachdem er das Fleisch abgenagt hatte, achtlos durch die Gitterstäbe in den Käfig.
»Gibt es Probleme, Ubaldo?«, fragte er und musterte Beaumont abschätzig.
»Nein, der werte Doktor wollte gerade gehen.«
Beaumont straffte die Schultern. Er durfte nicht zurückstecken, er musste handeln! Er wusste, dass der Wolfsmensch bei dieser menschenunwürdigen Haltung und den ständigen Misshandlungen bald sterben würde. »Ich kann nicht zulassen, dass Sie diesen Mann so behandeln.«
Der Dickwanst lachte. »Was willst du tun, Doktor? Er gehört uns. Und es ist unsere Sache, was wir mit ihm machen. Ein Freund meiner Familie hat ihn mir und meinen Brüdern verkauft. Er war die Attraktion auf seinen Reisen und hat ihm viel Geld eingebracht. Eine Züchtigung ab und an erinnert ihn daran, wer sein Herr und Meister ist. Für heute hat er seine Lektion gelernt, er wird kein zweites Mal eine Frau aus dem Publikum angreifen. Glaub mir, Doktor, wir wissen, wie wir mit ihm umzugehen haben.«
Diese Ungeheuerlichkeit war nicht zu ertragen! Hier wurde ein menschliches Wesen auf das Widerwärtigste ausgebeutet! Er durfte nicht zulassen, dass sein Martyrium weiterging. Aber was konnte er tun? Sollte er den Fall den Behörden melden? Am Ende brachte man den armen Kerl in ein Irrenhaus, was bedeutete, dass er von einer Gefangenschaft in die nächste geriet. Dazu war es fraglich, ob sich jemand fand, der sich seiner annahm und ihm die nötige Erziehung zuteil werden ließ, um ihn an ein normales Leben zu gewöhnen. Nicht zuletzt witterte Beaumont jedoch auch eine Chance, die sich ihm hier eröffnete und nicht so schnell wiederkehren würde. In keiner der dokumentierten Fälle war es gelungen, ein Wildkind zu zivilisieren. Wenn aber er, Beaumont, das Unmögliche möglich machte, würde sein Name in die Geschichte eingehen. Natürlich wäre Beaumont nicht Beaumont, hätte er allein an seinen Nutzen und den Ruhm gedacht. Vielmehr sah er die Möglichkeit, durch seinen gesteigerten Bekanntheitsgrad endlich eine Schule für Kinder zu eröffnen, deren Eltern nicht genügend Geld hatten, sie in eine Schule zu schicken. Nachdenklich blickte er zum Wolfsmann, der den Blick gesenkt hielt. Mit viel Geduld und der rechten Erziehung sollte es wohl gelingen, ihn zu zivilisieren, überlegte Beaumont. Auch wenn der Wilde ein Alter erreicht hatte, das seine Lernfähigkeit gewiss einschränkte.
»Geld ist es also, woran Sie interessiert sind?«
Der Dicke hob eine Augenbraue. »Wir sind Geschäftsmänner, werter Herr.«
»Was, um alles in der Welt, hast du vor, Gabriel?«, rief Giffard, als ahnte er, dass Beaumont etwas ausheckte, was ihn Kopf und
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