Die Wildrose
höchstwahrscheinlich Unterstützung für die Finanzierung weiterer Kriegsschiffe zusammentrommeln wollte. Und stellte fest, dass er keine Antwort auf Seamies Frage hatte.
3
S eamie Finnegan dachte, er wüsste Bescheid über Gefängnisse. Vor Jahren hatte er in Nairobi selbst einmal ein paar Tage in einem verbracht. Sein Bruder Sid hatte dort für ein Verbrechen eingesessen, das er nicht begangen hatte. Seamie und Maggie Carr, eine Kaffeeplantagenbesitzerin und Sids Chefin, hatten einen Plan ausgeheckt, um Sid zu befreien, bei dem Seamie und Sid die Rollen tauschen mussten. Es war nicht schwierig gewesen. Es gab nur eine Wache, und das Gebäude selbst war, wie Mrs Carr es ausdrückte, »nicht mehr als ein baufälliger Hühnerstall«.
Jetzt jedoch, als er auf die hoch aufragende Vorderfront blickte, stellte er fest, dass er nichts über Gefängnisse wusste, denn etwas wie Holloway hatte er noch nie gesehen.
Es wirkte wie eine dunkle, mittelalterliche Festung mit Eisentor und Zinnen. Zwei Greifvögel flankierten die Toreinfahrt, und dahinter sah man die Zellenblöcke – lange, rechteckige Bauten mit endlosen Reihen kleiner Fensterschlitze.
Bei dem Anblick stockte ihm der Atem. Sein Entdeckerherz sehnte sich nach den freien, grenzenlosen Gebieten dieser Erde, nach den schneebedeckten Weiten der Antarktis und den hohen Gipfeln des Kilimandscharo. Allein der Gedanke, hinter den hässlichen Steinwällen von Holloway eingesperrt zu sein, war beängstigend.
»Onkel Seamie, hier entlang. Komm mit«, sagte Katie und zog ihn an der Hand.
Joe war bereits mit seinem Rollstuhl durch die Einfahrt und schon halb in Richtung des Zentralgebäudes gefahren, auf dem AUFNAHME stand. Seamie und Katie eilten ihm nach.
Im Innern des Empfangsbereichs herrschte Chaos. Während Joe bei einem uniformierten Schalterbeamten die Kautionssumme für Fiona und ihre Freundin Maud Selwyn-Jones abzählte und Katie eine Frau interviewte, die ein blutiges Taschentuch an den Kopf drückte, griffen andere Frauen – viele in zerrissenen, blutbeschmierten Kleidern, einige mit Schnittwunden und voller blauer Flecken – wutentbrannt Aufseherinnen und Wärter an. Familienmitglieder und Freunde, die sie abholen wollten, baten sie inständig, mit ihnen das Gefängnis zu verlassen, aber vergeblich.
»Wo ist Mrs Fawcett?«, rief eine von ihnen. »Wir gehen nicht, bevor sie nicht freigelassen wird!«
»Wo sind Mrs Bristow und Dr. Hatcher?«, schrie eine andere. »Was macht ihr mit ihnen? Lasst sie frei!«
Die Rufe wurden immer lauter. Dutzende von Stimmen vereinigten sich zu einer. »Lasst sie frei! Lasst sie frei! Lasst sie frei!«
Der Lärm war ohrenbetäubend. Darüber hinweg schrie eine Aufseherin, dass alle gehen müssten, und zwar auf der Stelle, wurde aber sofort niedergebrüllt. Seamie sah einen alten Mann in schwarzem Anzug, der mit besorgtem Gesichtsausdruck von Wache zu Wache ging.
Joe sah ihn auch. »Reverend Wilcott?«, rief er. »Sind Sie das?«
Der Mann drehte sich um. Er trug eine Brille, war glatt rasiert und schien um die fünfzig zu sein. Sein Haar war bereits ergraut, sein Gesichtsausdruck freundlich und leicht verwirrt.
Er sah ihn an, hob die Brille und sagte: »Ah! Mr Bristow. Das wir uns ausgerechnet hier wiedertreffen.«
»Ja, eine schlimme Geschichte, Reverend. Ist Jennie denn auch verhaftet worden?«
»Ja. Ich bin hergekommen, um sie abzuholen, aber sie scheint nicht hier zu sein. Ich mache mir große Sorgen. Der Wärter hat viele Frauen an ihre Angehörigen übergeben, aber nicht Jennie. Ich habe keine Ahnung, warum nicht. Gerade habe ich Mr von Brandt gesehen, der nach Harriet sucht. Ah! Da ist er ja.«
Ein großer, gut gekleideter Mann mit silberblondem Haar gesellte sich zu ihnen. Man stellte sich vor, und Seamie erfuhr, dass Max von Brandt, ein Deutscher aus Berlin, der im Moment in London lebte, Dr. Harriet Hatchers Cousin war, den Harriets Mutter losgeschickt hatte, um sie abzuholen.
»Haben Sie sie gefunden?«, fragte Joe.
»Nein, aber ich habe kurz den Wärter gesprochen, und er sagte mir, dass Harriet und verschiedene Führungsleute der National Union of Suffrage Societes anderswo im Gefängnis festgehalten würden.«
»Aber warum?«, fragte Joe.
»Er behauptete, zu ihrer eigenen Sicherheit. Er sagte, er habe die Führungsleute aus Mrs Fawcetts Gruppe von denen aus Mrs Pankhursts Gruppe trennen müssen. Offensichtlich hat es harsche Auseinandersetzungen zwischen ihnen gegeben, und er
Weitere Kostenlose Bücher