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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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aus und schwieg.
    Seamie griff hinter sich in seine Satteltasche und zog langsam, um zu beweisen, dass er nicht nach einer Waffe griff, einen Lederbeutel heraus. Er schüttelte ihn, sodass jeder die Münzen darin klingeln hören konnte.
    »Zwanzig Guinee«, sagte er und sah Aziz in die Augen. »Die gehören dir. Wenn du mir sagst, wo sie ist.«
    Aziz lachte erneut. Dann stieß er einen lauten, durchdringenden Schrei aus, der dem eines Falken ähnelte, und plötzlich traten zwei Dutzend mit Gewehren bewaffnete Männer aus den Häusern.
    »Die gehören mir, wenn ich’s dir sage«, erwiderte er und deutete auf den Beutel. »Aber auch, wenn ich’s dir nicht sage.«

   70   
    E ine Minute? Eine Stunde? Einen Tag? Eine Woche?
     Willa hatte keine Ahnung, wie lange sie geschlafen hatte. Als sie aufwachte, sah sie einen Mann neben ihrem Bett sitzen. Er war groß, sah gut aus und hatte silbrig blondes Haar, und sie fragte sich erneut, ob sie von Wahnvorstellungen geplagt wurde. Sie schloss die Augen, wartete ein paar Sekunden und öffnete sie wieder. Der Mann saß immer noch da.
    »Max?«, fragte sie. »Max von Brandt?«
    Der Mann nickte lächelnd. »Diesmal haben wir uns in der Wüste getroffen statt in London oder im Himalaja.« Er beugte sich vor und berührte mit dem Handrücken ihre Wange. »Du fühlst dich nicht mehr so heiß an. Und siehst auch besser aus. Aber das solltest du auch. Nachdem du vier Tage durchgeschlafen hast.«
    »Also Max, ich bin ziemlich überrascht«, sagte Willa. Als sie versuchte, sich aufzusetzen, blieb ihr die Luft weg vor Schmerz.
    »Sei vorsichtig, Willa. Deine Rippen sind noch nicht geheilt.«
    »Was machst du hier? Was mache ich hier? Wo sind wir?«, fragte sie und versuchte, sich an ihrem Bettgitter hochzuziehen. Die Schmerzen waren grauenhaft. Schweißperlen traten auf ihre Oberlippe.
    »Um deine letzte Frage als Erste zu beantworten – das ist ein Hospital. Für türkische und deutsche Truppen. In Damaskus. Du bist in Damaskus, weil du eine Spionin bist. Ich bin aus dem gleichen Grund hier.«
    »Du … bist ein Spion?«, fragte Willa.
    »Ja, für den deutschen Geheimdienst. Ich war einige Zeit in London stationiert, dann in Paris. Jetzt in Damaskus. Die Lage hier ist kritisch, wie du sicher weißt.«
    »Wie ich sicher weiß? Was weiß ich, Max?«, fragte Willa mit einem Anflug von Ärger in der Stimme.
    Schnell hatte sie ihre Lage eingeschätzt: Ihre türkischen Kerkermeister hatten sie auf Anordnung von Max am Leben gelassen – obwohl er, bevor er sie im Vernehmungsraum sah, gar nicht genau wusste, wessen Leben er da schützte. Den Türken, die nur Befehlsempfänger waren, war es ziemlich gleichgültig, ob sie lebte oder starb, Max jedoch nicht. Er hatte früher einmal Gefühle für sie gehegt. Jetzt glaubte er, sie sei Spionin, aber wenn sie ihn vom Gegenteil überzeugte, ließ er sie vielleicht laufen.
    Max beantwortete ihre Frage nicht sofort. Er sah sie eine Weile an, runzelte die Stirn und sagte schließlich: »Ich bin vollkommen aufrichtig zu dir, Willa. Im Gegenzug erwarte ich das Gleiche von dir … Wo ist Lawrence, und wann plant er, Damaskus anzugreifen?«
    Willa lachte. »Max, du hast da etwas völlig missverstanden. Ich bin keine Spionin. Ich bin Fotografin, wie du weißt. Ich brauchte Geld, also hab ich Pathé überredet, mir eine gewisse Summe vorzustrecken, um hierherzukommen, und dann habe ich General Allenby bekniet – ich bin mir sicher, du weißt, wer das ist –, mich Lawrence anschließen zu dürfen. Ich habe Fotos geknipst und auch ein paar Filme gedreht. Das alles geht nach London, wird überprüft und kommt dann in die Wochenschauen der Kinos in England und Amerika. Wohl kaum hochsensibles Spionagematerial, oder?«
    Während des Sprechens hatte Willa ihre Lage verändert und damit die Schmerzen verstärkt. Sie brauchte dringend Morphium, um sie zu dämpfen.
    »Hallo?«, rief sie laut und beugte sich vor. »Verdammt! Wo ist denn diese Schwester?«
    »Sie kommt gleich«, antwortete Max.
    Sein Lächeln war verschwunden, und in seiner Stimme schwang ein drohender Unterton mit. Und Willa wurde es plötzlich eiskalt bei dem Gedanken, dass Max die Schwester weggeschickt hatte und sie nur auf sein Geheiß zurückkommen würde.
    »Hör mir zu, Willa. Hör mir genau zu«, sagte er. »Du steckst in großen Schwierigkeiten. Ich habe dich neulich vor der Folter bewahrt. Vermutlich auch vor Vergewaltigung. Aber ich kann dich nicht immer schützen. So viel Einfluss

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