Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
Vom Netzwerk:
Augen auf und sah Max in der Tür stehen. Er lächelte und hielt die Arme auf dem Rücken.
    »Darf ich eintreten?«, fragte er.
    »Das ist dein Hospital, Max. Ich bin deine Gefangene. Du kannst doch tun, was du willst«, antwortete sie.
    »Wie fühlst du dich?«, fragte er, ohne auf ihre spitze Bemerkung einzugehen. »Hast du immer noch Schmerzen?«
    Sie nickte. »Du hast nicht zufällig eine Schmerztablette dabei? Die Rippen tun mir immer noch weh, und ich habe die Schwester seit Stunden nicht mehr gesehen.«
    »Das könnte vielleicht helfen«, sagte er und zauberte eine Flasche Wein hinter dem Rücken hervor. Es war ein Château Lafite, Jahrgang 1907. In der anderen Hand hielt er zwei Weingläser. Er schenkte ein und reichte ihr ein Glas. »Ich habe ihn aus der Offiziersmesse stibitzt. Hoffentlich schmeckt er dir«, sagte er und setzte sich zu ihr aufs Bett.
    Willas Hände zitterten, als sie das Glas entgegennahm. Sie begutachtete ihn misstrauisch und roch daran, was ihn zum Lachen brachte.
    »Wenn ich dich umbringen wollte, gäbe es schnellere Methoden. Oder auch langsamere. Trink aus. Da ist nichts in deinem Glas außer Wein, ich schwör’s.«
    Willa nahm einen Schluck von dem schweren Bordeaux. Seit Jahren hatte sie nichts mehr dergleichen getrunken. Er schmeckte umwerfend köstlich. Nach Zivilisation und Glück. Nach all den schönen und friedlichen Nächten, die sie vergeudet hatte. Nach dem Leben vor dem Krieg.
    »Der ist herrlich«, sagte sie. »Danke.«
    »Ja, der ist wirklich gut, nicht? Ich bin froh, ihn hier zu trinken. Mit dir. Und nicht mit irgendeinem alten Generalmajor in der Messe, der ständig in Erinnerungen an den Deutsch-Französischen Krieg schwelgt.«
    Willa lächelte. Sie nahm noch einen Schluck, genoss das Gefühl, wie er durch ihren Körper floss, ihr Blut wärmte und Farbe auf ihre Wangen brachte. Einen Moment lang war es, als wären sie wieder in Tibet. Dort hatten sie zwar keinen Lafite, aber am Lagerfeuer gemeinsam Tee getrunken.
    Max schenkte ihr nach. »Hast du über mein Angebot nachgedacht?«, fragte er.
    Willa trank abermals einen Schluck. »Natürlich habe ich das. Aber was soll ich dazu sagen, Max? Was erwartest du von mir? Mein eigenes Land zu verraten? Könntest du das?«
    Max lächelte wehmütig und schüttelte den Kopf. Willa befürchtete schon, er würde nach dem Erschießungskommando rufen, aber das tat er nicht.
    »Schon erstaunlich«, sagte er, »dass wir beide zur selben Zeit hier gestrandet sind, nicht? Ich wäre versucht, das Schicksal zu nennen, wenn ich an Schicksal glauben würde.«
    »Aber das tust du nicht.«
    »Nein. Ich glaube, das Leben ist das, was man daraus macht«, erwiderte er und schenkte sich nach. »Ich möchte nicht hier sein, das steht fest. Ich bin nicht freiwillig an diesem schrecklichen Ort, in der Hitze, dem Staub und inmitten der Soldaten.« Er stellte die Flasche auf den Boden und sah sie an. »Ich möchte dorthin zurück, wo ich am glücklichsten war, Willa. Zum Everest. Ich spüre, dass dort meine wahre Heimat ist – im Himalaja. Und deine auch, wie du weißt. Das ist der Ort, wo wir beide hingehören.«
    Willa sagte nichts. Sie starrte in ihr Weinglas.
    »Lass uns dorthin zurückkehren. Gemeinsam«, sagte er leise.
    Willa lachte bitter. »Ach ja, einfach in den nächsten Zug Richtung Osten hüpfen?«, fragte sie. »Bei dir hört sich das alles so einfach an.«
    »Ich habe nie geheiratet, weißt du? Du hast mich für alle anderen Frauen verdorben.«
    »Max, ich …«, begann Willa, weil ihr nicht gefiel, welche Wendung das Gespräch genommen hatte. Weil sie es beenden wollte, bevor er sich zu weiteren Geständnissen hinreißen ließ.
    »Nein, hör mich an. Tu wenigstens das für mich. Damals in Tibet, da wusste ich, dass du jemand anderen liebst. Aber Willa, wo ist er? Wo ist Seamus Finnegan in all den Jahren gewesen? Ich werd’s dir sagen: nicht bei dir. Er ist mit einer anderen Frau verheiratet, und sie haben einen kleinen Sohn.«
    Willa wandte sich ab und senkte den Kopf. Tränen brannten in ihren Augen.
    »Ich sage das nicht, um dich zu verletzen«, fuhr Max fort. »Nur um dir die Realität vor Augen zu führen. Du vergeudest dein Leben, indem du dich nach etwas sehnst, was du nicht haben kannst.« Er griff nach ihrer Hand. »Du gehörst nicht zu Seamus Finnegan. Und du gehörst nicht hierher in diese Wüstenhölle. Dieser Krieg geht dich nichts an. Er geht keinen von uns etwas an.«
    Max beugte sich näher zu ihr. »Um Himmels willen,

Weitere Kostenlose Bücher