Die Wildrose
stellte fest, dass es so vieles gab, was sie nicht wusste, so viele Probleme, um die sie sich nicht kümmern musste, weil er immer zur Stelle war, alles regelte und ausbügelte und darauf achtete, dass sie sich mit den Sorgen der Haushaltsführung nicht belasten musste. Und das war wahrscheinlich immer so gewesen.
Er war nicht mehr der Jüngste, fast fünfundsechzig inzwischen, und sein Haar wurde grau, außerdem litt er an Arthritis in Knien und Händen. Vor fünf Jahren hatten Joe und sie einen Hilfsbutler – Kevin Richardson – eingestellt, der ihm die anstrengendsten Pflichten abnahm, aber Mr Foster führte nach wie vor das Kommando, und das wollte Fiona auch so. Sie konnte sich überhaupt nicht vorstellen, wie sie ohne ihn zurechtkommen sollte.
Sie und Joe waren immer gut zu Mr Foster gewesen. Er wurde für seine Dienste gut entlohnt und hatte eine geräumige Wohnung in ihrem Haus zu seiner Verfügung. Er wurde respektiert und geschätzt. Aber plötzlich, als sie ihm jetzt in dem ratternden Zug gegenübersaß, mit einem Korb voller Gartengeräte zwischen ihnen, dachte sie, dass das nicht gut genug war. Dass sie ihm nie gesagt hatte, wie viel er ihr bedeutete, wie sehr sie ihn schätzte.
Sie räusperte sich und beugte sich vor. »Mr Foster, ich …«, begann sie.
»Das ist nicht nötig, Madam. Es ist schon gut. Ich weiß«, unterbrach er sie.
»Wirklich?«, fragte Fiona. »Stimmt das?«
»Ja.«
Fiona nickte. Sie wusste, dass er größere Gefühlsbezeugungen nicht sonderlich mochte. Aber als sie schließlich den Mut und die Kraft aufgebracht hatte, um ins Hospital zurückzufahren und ihren Sohn zu besuchen, bat sie Mr Foster, sie zu begleiten. Nicht Joe. Denn in Begleitung von Joe, ihrem geliebten Mann, dem Vater ihres schwer geschädigten Kindes, hätte sie endlos geheult. Mit Mr Foster jedoch, der selbst in der Armee gewesen war, würde sie sich zusammenreißen und tun, was getan werden musste.
Und was getan werden musste, war Gartenarbeit, hatte sie entschieden. Maud hatte in ihrem Oxforder Anwesen einen Rosengarten unterhalten, in dem es einige schöne alte Duftsorten gab, aber die Anlage war nicht so gepflegt, wie sie es hätte sein sollen. Der Hospitalgärtner und seine Leute verwendeten ihre Anstrengungen hauptsächlich auf den Küchengarten, der der Versorgung der Patienten und des Personals diente.
Fiona hatte ihren Bruder Sid über die Fortschritte sprechen hören, die ihm bei einigen Männern mit Kriegsneurose gelungen waren, indem er sie zu Arbeiten rund um das Anwesen einsetzte. Charlie teilte die Liebe seines Vaters zu Blumen- und Gemüsegärten und war ihm früher immer hinterhergerannt, wenn Joe in seinem Rollstuhl die Apfel- und Birnbäume in Greenwich inspizierte. Und sie hoffte, die Pflege von Mauds Rosen könnte ihm vielleicht helfen, wieder ins Leben zurückzufinden.
Der Zug fuhr jetzt etwas langsamer. Sie blickte hinaus und sah, dass sie sich dem Bahnhof näherten. »Wir sind gleich da, Mr Foster«, sagte sie. Aber Mr Foster war schon aufgestanden und nahm ihre Sachen.
»Eines dürfen Sie nicht vergessen, Madam«, sagte er, als er ihre Tasche und ihren Schirm aus dem Gepäcknetz holte.
»Ja?«, fragte Fiona. »Was denn?«
»Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut.«
»Nein, das werde ich nicht vergessen, Mr Foster.«
Sid erwartete sie am Bahnsteig.
»Wie geht’s ihm?«, fragte Fiona ihren Bruder.
»Unverändert, fürchte ich. Und wie geht’s dir?«
Ich mache mir Sorgen, dachte Fiona. Ich habe Angst, und ich bin wütend. Niedergeschlagen. Unsicher.
»Ich bin entschlossen«, antwortete sie.
Lächelnd erwiderte Sid: »So kenne ich dich.«
»Ich dachte, wir machen uns gleich an die Arbeit im Rosengarten«, sagte Fiona. »Können wir uns einen Schubkarren borgen?«
Kaum angekommen, zog Fiona ein altes Arbeitskleid an. Sid brachte ihnen einen Karren, Dünger und ein paar Gartengeräte und hatte auch an Sandwiches und Tee gedacht. Als Fiona fertig war, brachte er sie und Mr Foster in Charlies Zimmer.
Charlie saß auf seinem Bett, genauso wie Fiona ihn beim ersten Mal angetroffen hatte. Er zitterte immer noch und starrte mit leerem Blick vor sich hin. Schlagartig kam ihr Kummer zurück und drohte sie zu überwältigen, aber dann hörte sie Roses Stimme in sich, die ihr sagte, sie sei seine Mutter und müsse um ihn kämpfen. Und Mr Foster, direkt neben ihr, sagte: »Vergessen Sie Rom nicht, Madam.«
»Hallo, Charlie«, wandte sie sich mit fester Stimme an ihren Sohn.
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