Die Wildrose
»Ich bin’s, Mum. Ich hab Mr Foster mitgebracht. Ich dachte, wir machen heute einen Spaziergang. Gehen ein bisschen raus und arbeiten ein wenig im Garten. Es ist ein schöner Tag, weißt du, und es gibt Rosen im hinteren Teil des Gartens. Der August geht zu Ende, die heißeste Zeit ist vorbei, also sollten ein paar der Stöcke wieder blühen. Wollen wir uns das ansehen? Dann komm. Wir gehen.«
Sid und Mr Foster stellten Charlie auf die Füße. Er schlotterte am ganzen Körper, und es dauerte einige Zeit, bis sie ihn aus dem Gebäude hinausgeschleppt hatten. Draußen halfen die beiden Männer Charlie bis zum Rosengarten. Fiona folgte ihnen mit dem Schubkarren.
»Charlie! Sieh dir das nur an!«, rief sie aus, als sie dort angekommen waren. Der Garten war zwar vernachlässigt, aber trotzdem noch prächtig. Rosen aller Größen, Formen und Farben überwucherten die Weidenzäune, die Trittsteine und andere Büsche.
»Die müssen alle beschnitten und gedüngt werden. Da, die Maiden’s Blush hat Sternrußtau. Sehen Sie das, Mr Foster? Und diese Cecile Brunner’s wächst völlig wild in alle Richtungen. Fangen wir mit dem Ausschneiden und Düngen an, und dann pflücken wir ein paar Dutzend Rosen. Die bringen wir ins Hospital und stellen sie in Vasen, Flaschen und Marmeladengläser, in alle Gefäße, die wir finden können, und verteilen sie in den Zimmern. Sollen wir das machen?«
Sid hielt das für eine gute Idee, weil die Zimmer tatsächlich ein bisschen Farbe vertragen könnten, dann entschuldigte er sich. Er müsse Stephen, einen seiner Jungs, in den Stall zu Hannibal bringen, weil Hannibal, der eigensinnige Mistkerl, ein Feld pflügen sollte und sich inzwischen nur noch von Stephen anschirren ließ.
Fiona und Mr Foster breiteten in der Nähe eines leuchtend pinkfarben blühenden Rosenbuschs eine Decke auf dem Boden aus, auf die sich Charlie setzte. Kurz darauf sprang ein Eichhörnchen, von ihrer Anwesenheit aufgescheucht, in diesen Busch, rüttelte die Blüten durch, und einige Tautropfen, die sich auf den Rosenblättern gesammelt hatten, regneten auf Charlie herab. Ein zartes Blütenblatt fiel auf seine Schulter und streifte dabei seine Wange – und in diesem Augenblick bemerkte Fiona eine winzige Regung. Der Blick ihres Sohnes zuckte in Richtung des Rosenblatts. Eine kaum wahrnehmbare Bewegung, nicht länger als der Bruchteil einer Sekunde. Aber einen Moment lang flackerte ein winziger Lebensfunke in Charlies toten Augen auf.
Sie schaute Mr Foster an. Auch er hatte es gesehen. Das erkannte sie an seiner gespannten Miene. Schnell griff Fiona nach der Gartenschere und schnitt hoch oben im Busch eine Rose ab. Dann kniete sie sich nieder und legte sie ihrem Sohn in die zitternde Hand. Vorsichtig schloss sie seine Finger darum und hielt seine Hand fest.
»Ich bin stärker als Lieutenant Stevens, Charlie«, sagte sie. »Stärker als jede verdammte Granate. Stärker als alle bösen Gespenster in deinem Kopf. Ich habe dir einst das Leben geschenkt, der Krieg hat es dir genommen, aber ich werde es dir zurückgeben. Verstehst du mich, mein Junge?« Sie küsste ihn auf die Stirn. »Verstehst du mich? Ich weiß, dass du mich verstehst.«
Dann stand sie auf, nahm einen Rechen zur Hand und machte sich an die Arbeit.
69
S eamie blickte den Mann vor sich an. Sein Name war Aziz. Er trug einen roten Turban und ein rotes Gewand. Breitbeinig, die Arme vor der Brust verschränkt, stand er da und wollte von Seamie wissen, warum er ihn mit seinen Fragen und seiner Gegenwart beleidige.
Erst kurz zuvor war Seamie in Begleitung von Abdul, Khalaf und dessen Männern im Dorf angekommen. Von ein paar Händlern, die nach Haifa unterwegs waren, hatten sie erfahren, dass sie die Gesuchten hier antreffen würden. Sie hatten vier Tage gebraucht, um die kleine Siedlung zu finden.
Als sich Seamie auf seinem Kamel aufrichtete und umsah, fand er allerdings, dass man den Ort wohl kaum als Dorf bezeichnen konnte. Er bestand lediglich aus einigen Steinhütten, höchstens zwanzig, und ein paar schäbigen Tierpferchen.
Aziz war bei ihrer Ankunft aus einem der baufälligen Häuser getreten und hatte sie unwirsch angefahren. Einer von Khalafs Männern meinte, dies sei der Mann, dem er in Umm al-Qittayn das Halsband abgekauft habe.
»Ich möchte Informationen über die Frau«, sagte Seamie zu Aziz, der etwas Englisch sprach. »Über die Frau in dem Flugzeug. Die ihr entführt habt. Was habt ihr mit ihr gemacht?«
Aziz lachte, spuckte
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