Die Wildrose
vorstellen, aber es tut mir sehr leid für Ihren Verlust.«
Unfähig zu sprechen, nickte Willa nur und wischte sich erneut mit dem Ärmel das Gesicht ab. Jennie öffnete ihre Tasche, zog ein spitzengesäumtes Taschentuch heraus und reichte es ihr.
»Danke, Mrs Finnegan«, sagte Willa. »Verzeihen Sie mir bitte. Ich wünschte, wir hätten uns unter erfreulicheren Umständen kennengelernt.«
»Das wünschte ich auch«, antwortete Jennie, »und es gibt nichts zu verzeihen.« Sie sah Seamie an. »Der Leichenwagen ist eingetroffen. Wir sollen uns in zehn Minuten auf den Weg zur Abbey machen.«
»Ich hole unsere Mäntel«, sagte Seamie.
Jennie schüttelte den Kopf. »Vielleicht solltest du lieber noch ein paar Minuten bei Miss Alden bleiben.« Zu Willa gewandt, fügte sie hinzu: »Entschuldigen Sie, Miss Alden, aber Sie sehen nicht aus, als könnten Sie gleich aufbrechen. Darf ich Ihnen eine Tasse Tee bringen? Und ein feuchtes Tuch?«
Willa nickte dankbar. Jennie eilte hinaus, während Seamie ihr nachblickte und über ihre Güte und ihr Mitgefühl staunte. Eine andere Frau hätte ihm wahrscheinlich die Hölle heißgemacht. Nicht so Jennie. Sie sah immer nur das Gute in den Menschen. Die nobelste Art, sich zu erklären, was sie gerade gesehen hatte, bestand wohl darin, dass ihr Mann eine trauernde Freundin getröstet hatte, eine andere Erklärung ließ sie nicht zu. Seamie war nicht zum ersten Mal gerührt von ihrem Glauben an ihn. Und er beschloss, gleich hier und jetzt, diesen Glauben, nie zu zerstören. Diese gute Frau, die er geheiratet hatte, nie zu verletzen. Egal, was er vor ein paar Momenten gefühlt haben mochte, es gehörte der Vergangenheit an, ein für alle Mal.
»Sie ist sehr nett und sehr schön. Du bist ein Glückspilz.« Willa ließ sich matt in einen Sessel fallen.
»Ja, das bin ich«, antwortete Seamie.
Willa sah auf ihre Hände hinab. »Ich freue mich für dich. Ich freue mich, dass du einen so wundervollen Menschen gefunden hast«, sagte sie.
»Wirklich?«, fragte er mit schroffer Stimme. Was nicht seine Absicht gewesen war.
Willa blickte gequält zu ihm auf, und das Versprechen, das er sich vor wenigen Augenblicken gegeben hatte, ging in einer plötzlichen Gefühlsaufwallung unter. »Warum?«, fragte er. »Warum hast du …«
Aber dann standen die Leichenträger plötzlich im Salon, entschuldigten sich und schlossen den Sarg, und Jennie befand sich direkt hinter ihnen.
»Hier, Miss Alden«, sagte sie, reichte Willa ein Tuch und stellte den Tee auf einen Tisch neben ihr.
Seamie wandte sich von Willa ab, und Jennie heuchelte Interesse für einen alten Segelpokal. Was mache ich nur?, fragte er sich. Ich lasse es zu, dass meine Gefühle die Oberhand über mich gewinnen. Schluss damit, sagte er sich. Sofort. Es ist reiner Wahnsinn.
»Danke«, hörte er Willa zu Jennie sagen. »Wahrscheinlich brauche ich aber mehr als eine Katzenwäsche mit einem Waschlappen. Ich sollte mich umziehen, bevor wir in die Kirche gehen. Ich habe seit Wochen die Kleider nicht gewechselt.«
»War die Reise sehr anstrengend?«, fragte Jennie.
»Ja, und sehr lang«, antwortete Willa.
»Fahren Sie gleich wieder zurück, oder bleiben Sie eine Weile in London?«, fragte Jennie leichthin.
Seamie schloss die Augen und wünschte, sie würde erwidern, dass sie gleich morgen wieder in den Himalaja zurückkehrte. Um seinetwillen. Um ihrer aller willen.
»Ich weiß nicht. Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht«, antwortete Willa, und Seamie hörte die Müdigkeit in ihrer Stimme. »Ich bin in solcher Hast aufgebrochen, verstehen Sie. Ich denke, ich werde ein paar Wochen bleiben. Vielleicht einen oder zwei Monate. Ich werde etwas tun müssen, um die Rückreise finanzieren zu können. Ich habe fast alles ausgegeben, was ich hatte, um hierherzukommen.«
»Vielleicht können wir Ihnen helfen«, schlug Jennie vor. »Mit dem Geld für die Überfahrt, meine ich. Seamie, Liebling, könnten wir das?«
Wie ein Blitz traf ihn die Erkenntnis, was hier wirklich vor sich ging. Ach Jennie, dachte er, du bist lieb und nett, aber keine Närrin. Er hatte angenommen, sie würde in jedem nur das Beste sehen und sich deshalb so großzügig gegenüber der Rivalin verhalten. Aber da hatte er sich getäuscht. Sie hatte die ganze Situation genau erfasst.
»Natürlich, Jennie«, sagte er. Er würde liebend gern Willas Rückfahrtspassage bezahlen. Erster Klasse, wenn sie wollte. Alles. Solange sie nur gehen, ihn in Frieden lassen, und
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