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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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wiedertreffen.
    Er erinnerte sich, wie sie sich wiedergetroffen hatten. Jahre später, im Pickerel, einem Pub in Cambridge. Sie hatte ihn zu einer Klettertour herausgefordert – die St.-Botolophs-Kirche hinauf – und gewettet, dass er sie nicht schlagen würde. Falls er gewinnen sollte, müsste sie ihm ein Paar neue Wanderstiefel kaufen. Im umgekehrten Fall müsste er sie nach Afrika zum Kilimandscharo begleiten. Sie hatte gewonnen. Sie hatte die Wette gewonnen, den Einsatz, den Gipfel und sein Herz.
    Und dann erinnerte er sich, wie er ohne sie aus Afrika zurückkehrte. Er erinnerte sich, wie er in diesem Raum stand und ihren Eltern erzählte, was passiert war. Er dachte, sie würden ihm die Schuld dafür geben, aber das taten sie nicht. Stattdessen errieten sie seine Gefühle für ihre Tochter und sagten, es tue ihnen leid, dass alles so gekommen sei. Sowohl dem Admiral wie seiner Frau fiel es sehr schwer, sich mit Willas Entscheidung abzufinden, in den Fernen Osten weiterzuziehen, statt nach Hause zurückzukehren.
    »Wie konntest du das tun?«, fragte er das Mädchen auf dem Foto jetzt. »Wie konntest du nicht heimkommen? Nicht ein einziges Mal in der ganzen langen Zeit?«
    Der Admiral hatte seine Tochter geliebt, und sie ihn. Sie hatte zu ihm aufgeblickt und in allem, was sie tat, seinen Respekt und seine Anerkennung gesucht. Wie um alles in der Welt konnte sie die Briefe ihrer Mutter und ihres Bruders ignorieren, die sie anflehten, nach London zurückzukehren, um ihren Vater noch einmal zu sehen? Wie konnte sie so grausam sein? Zu ihm war sie grausam gewesen, aber er war nur ihr unglücklicher Liebhaber, Admiral Alden aber ihr Vater.
    Seamie stellte das Foto zurück und wusste, er bekäme keine Antwort auf diese Frage. Willa hätte kommen müssen. Sie hätte sich von ihrem Vater verabschieden sollen. Sie hätte hier sein und ihrer Mutter bei der Überwindung des Verlusts des Mannes helfen sollen, mit dem sie über vierzig Jahre verheiratet gewesen war. Sie hätte Albie, ihren Bruder, unterstützen sollen, der sich mannhaft bemühte, seine am Boden zerstörte Mutter zu trösten. Der den Trauergottesdienst, die Beerdigung und den Leichenschmaus organisierte, obwohl er mit seinem eigenen Schmerz zu kämpfen hatte. Willa hätte hier sein sollen, aber sie war es nicht.
    Seamie ging zum Sarg zurück. Er nahm einen Kieselstein aus der Tasche und legte ihn unter die gefalteten Hände des Admirals. Er hatte ihn von den eisigen Küsten des Weddell-Meers mitgebracht – einem Ort, an den er nie gekommen wäre, wenn es diesen Mann nicht gegeben hätte. Er schluckte schwer, salutierte vor dem Admiral und ging schließlich ins Gesellschaftszimmer.
    Dort traf er auf Jennie, die gegenüber von Mrs Alden auf einem Sofa saß und sich mit ihr unterhielt. Seamie nahm ebenfalls auf dem Sofa Platz. Jennie griff wortlos nach seiner Hand, und ihre liebevolle Geste machte ihm den Schmerz ein wenig erträglicher. Wie so oft in den letzten Wochen dachte er, wie gut sie war und wie froh er war, dass er sie geheiratet hatte.
    Als ihm jedoch wieder in den Sinn kam, dass er alles andere als froh gewesen war, als sie ihm von ihrer Schwangerschaft erzählte, musste er kurz lächeln. Er war tatsächlich schockiert gewesen und hatte sein Leben binnen Sekunden an sich vorbeiziehen sehen, wie es angeblich kurz vor dem Tod passiert. Trotzdem hatte er sofort begriffen, was er tun musste. Jennie war schwanger, und er war schuld daran. Also konnte er wohl kaum in die Antarktis verschwinden und sie in London allein, ohne Mann und mit einem Kind zurücklassen. Nur ein absoluter Schuft hätte so gehandelt. Also hatte er das Richtige, Ehrenhafte und einzig Mögliche getan – und ihr einen Antrag gemacht.
    Er hatte Angst gehabt und sich schrecklich zerrissen gefühlt, als er die Worte aussprach. Ihm war klar, indem er sie bat, ihn zu heiraten, verabschiedete er sich endgültig von Willa. Doch zu seiner großen Überraschung machte es ihn glücklich, als Jennie seinen Antrag annahm. Die Angst verließ ihn, sobald sie eingewilligt hatte, und in den Tagen danach hatte er nur Zufriedenheit und Erleichterung gespürt.
    Es war getan, die Entscheidung war gefallen. Tatsächlich alle Entscheidungen. Er würde in London bleiben, die Stelle antreten und die Entdeckungsreisen anderen überlassen – jüngeren oder verrückteren Männern. Männern, die nichts zu verlieren hatten. Er hatte sich getäuscht, als er glaubte, Willa Alden sei die einzige Frau, die er je

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