Die Wildrose
er das Gefühl ihres Körpers in seinen Armen, ihren Duft und den Klang ihrer Stimme vergessen würde. Solange sie ihm das Leben ließe, das er jetzt hatte – das Leben mit Jennie und ihrem Kind.
»Danke, ihr seid beide sehr lieb, aber das wird nicht nötig sein«, erwiderte Willa. »Ich bringe einen Fotoband bei der Royal Geographical Society heraus. Über den Everest. Die Fotos habe ich alle mitgebracht. Ich liefere das Material eben ein bisschen früher ab als geplant und hoffe, Sir Clements gibt mir einen großzügigen Vorschuss. Außerdem halte ich einen Vortrag über den Everest.« Sie lächelte matt. »Gegen Honorar natürlich. Ich habe auch meine Karten mitgebracht. Sie in Rongbuk zu lassen konnte ich nicht riskieren. Sie wären vielleicht weg, wenn ich zurückkehre.«
Albie steckte den Kopf durch die Tür. »Der Leichenwagen fährt gleich ab«, sagte er. »Mutter möchte, dass du bei uns mitfährst, Willa.« Dann verschwand er wieder.
»Das war’s wohl mit Umziehen«, seufzte Willa. Sie stand auf und blickte von Seamie zu Jennie. Ein unbehagliches Schweigen trat ein, und Seamie wünschte, er wäre schon in der Abbey, wo er nicht reden musste. Wo Willa bei ihrer Mutter und ihrem Bruder säße, und er, weit entfernt von ihr, neben Jennie.
»Also, nochmals vielen Dank für eure Liebenswürdigkeit«, sagte Willa verlegen. »Ihr kommt doch zu meinem Vortrag? Bitte, sagt Ja.«
Mit strahlendem Lächeln versprach Jennie, dass sie ganz sicher kommen werde, und entschuldigte sich dann, um ihre Sachen zu holen.
Willa ging zur Tür, und Seamie folgte ihr. Sie blieb noch einmal stehen, drehte sich um und legte die Hand auf seinen Arm. »Seamie, warte. Wegen vorhin … das … tut mir leid. Ich wollte keinesfalls …«
Er lächelte höflich und hatte seine Gefühle wieder im Griff. »Nicht doch, Willa. Nicht der Rede wert. Nochmals mein Beileid. Es tut mir leid für deinen Verlust.«
Er hielt kurz inne und fügte dann wehmütig hinzu: »Und für meinen.«
25
J oe arbeitete seit drei Uhr nachmittags in seinem Büro im Unterhaus. Inzwischen war es fast Mitternacht, und er war müde, wollte nach Hause, zu seiner Frau, ins Bett. Aber er konnte nicht. Weil George Burgess ihm gegenüber am Schreibtisch saß, Whisky trank und über Flugzeuge redete.
Fast ganz London schlief schon, aber nicht Sir George. Bis eben war er Fakten und Zahlen für eine Rede durchgegangen, die er am nächsten Tag im Parlament halten wollte. Über die Notwendigkeit, die Königliche Luftschifffahrt als Teil der Königlichen Marine der Admiralität zu unterstellen.
Zuerst Churchill und seine Schiffe, dachte Joe. Und jetzt Sir George und seine Flugzeuge. Mittlerweile gab es jeden Tag neue Forderungen nach höheren Militärausgaben.
»Sie können sich das einfach nicht vorstellen, alter Freund«, erklärte Burgess. »Die Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit sind unvergleichlich. Und von oben in den Wolken, aus sicherer Entfernung, die exakte Position einer feindlichen Stellung zu erkunden, die Anzahl von Truppen und Kanonen, nun, die Auswirkungen für die Aufklärung sind einfach verblüffend, vom Einsatz von Fliegerbomben ganz zu schweigen. Ich könnte die ganze Nacht weiterreden, Joe, aber Sie müssen sich von den Fähigkeiten eines Kampfflugzeugs selbst überzeugen und mit mir fliegen.«
»Ich nehme Sie beim Wort, George. Wir können gleich über Hackney fliegen, und ich zeige Ihnen, wo ich eine neue Schule bauen will.«
»Ich mache mir eine Notiz in meinem Terminkalender«, erwiderte Burgess, ohne auf Joes ironischen Unterton einzugehen. »Während der Parlamentsferien im August fahren wir nach Eastchurch, da ist eine Flugschule der Marine. Ich nehme Sie in einer Sopwich mit nach oben, und Sie werden überzeugt sein. Die Einheit steckt noch in den Kinderschuhen«, fügte er hinzu, »und muss schnell ausgebaut werden. Wir haben erst vierzig Flugzeuge, fünfzig Wasserflugzeuge und etwa einhundert Piloten, und das Geschwader muss natürlich vergrößert werden. Wir sind im Rückstand. Die Italiener, Griechen und Bulgaren, sogar die Amerikaner sind uns meilenweit voraus in der Entwicklung von Kampfflugzeugen und …«
Burgess wurde von einem lauten Trommeln an Joes Tür unterbrochen.
»Schläft denn in dieser Stadt überhaupt niemand mehr?«, fragte Joe. »Herein!«
»Sir George? Gott sei Dank habe ich Sie gefunden. Hallo, Mr Bristow.« Es war Albie Alden, mit wirrem Haar und vollkommen außer Atem. Offensichtlich war er
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