Die Wildrose
betonte. Ihr Blick war fröhlich, herausfordernd und voller Leben gewesen.
Die Willa, die jetzt vor ihm stand, sah ganz anders aus als in seiner Erinnerung. Diese Willa wirkte ausgemergelt. Gequält. Ihr Gesicht war wettergegerbt. Das Haar unter ihrer Kopfbedeckung war nicht mehr kurz, sondern lang und zu einem dicken Zopf geflochten. Dennoch war sie immer noch schön. Die Augen hatten nichts von ihrer herausfordernden Intensität verloren. Wenn er jetzt in diese Augen blickte, entdeckte er, was er immer darin gesehen hatte – die gleiche ruhelose, suchende Seele, die auch in ihm wohnte.
Er machte den Mund auf, um ihr zu sagen, was er fühlte, um die Dinge wieder ins Lot zu bringen, den Graben zwischen ihnen zu überbrücken, zwischen allen von ihnen, aber er brachte nichts heraus als: »Na schön. Trinken wir eine Tasse Tee?«
»Nein, tun wir nicht«, erwiderte Albie und warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Wir sind hier nicht beim Pferderennen, und der verdammte Tee kann mir gestohlen bleiben!« Dann stürmte er hinaus, knallte die Tür hinter sich zu und ließ Seamie und Willa allein zurück.
Willa wischte sich mit dem Ärmel die Tränen ab. »Er ist wahnsinnig wütend auf mich. Hat mich grausam genannt«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Ich wollte nicht zu spät kommen. Ich hatte keine Ahnung, dass mein Vater krank war. Die Briefe trafen mit Verspätung ein. Ich hab mich sofort auf den Weg gemacht, als ich sie bekam – vor sechs Wochen.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber für Albie zählt das nicht. Meine Mutter hat mir verziehen, aber er wird es wohl nie tun.« Sie lächelte traurig. »Nun, wenigstens habe ich es zur Beerdigung geschafft. Es ist trotzdem eine Art Abschied, oder nicht? Wenn auch nicht der, den ich mir gewünscht hätte.« Sie schwieg einen Moment, starrte auf den Sarg und fügte dann hinzu: »Ich hätte nie gedacht, dass er mal sterben würde. Er doch nicht. Er war so stark. So voller Leben.« Und dann brach sie zusammen und bedeckte das Gesicht mit den Händen.
Seamie trat zu ihr, wollte sie trösten. Der Mann in dem Sarg war ihr geliebter Vater, dieses Haus ihr Heim. Und dennoch schien sie überhaupt nicht hierherzupassen und vollkommen allein zu sein. Zögernd legte er die Hand auf ihren Rücken. »Es tut mir leid, Willa«, sagte er. »Es tut mir so leid.«
Hilflos und verzweifelt drehte sie sich zu ihm um. »Ach, Seamie, ich wünschte, ich hätte mich richtig verabschieden können«, stieß sie hervor und schluchzte herzzerreißend. »Ich wünschte, ich hätte ihm sagen können, wie viel er mir bedeutet hat und wie sehr ich ihn liebte. Wenn ich nur früher gekommen wäre.«
Bei ihrem Anblick stiegen auch Seamie Tränen in die Augen. Er dachte nicht mehr an sich, sondern nahm sie in die Arme und hielt sie fest. Wie ein Sturzbach brachen die Klagen aus ihr heraus. Sie rang nach Atem und krallte die Finger in sein Hemd. Er drückte sie an sich, und sie weinte bitterlich, bis sie erschöpft und schlaff in seinen Armen hing. Auch dann ließ er sie nicht los, so sehr überwältigten ihn der gemeinsame Schmerz und ihre plötzliche Nähe. Willa, die er nie mehr wiederzusehen geglaubt, die er geliebt und zuweilen gehasst hatte.
»Ich vermisse ihn, Seamie, ich vermisse ihn so sehr«, flüsterte sie, als sie wieder sprechen konnte.
»Ich weiß, ich vermisse ihn auch.«
Sie beide hörten, wie die Tür aufging und eine weibliche Stimme sagte: »Seamie? Bist du hier … Oh! Entschuldigung, ich … Seamie?«
Es war Jennie.
Verdammter Mist, dachte Seamie. Sofort ließ er Willa los.
»Miss Alden?«, fragte Jennie unsicher und sah zuerst ihn und dann Willa an. Er war beschämt. Jennie wäre verletzt, wenn sie feststellte, dass die Frau in seinen Armen ausgerechnet Willa Alden war. Sie wäre wütend. Er hoffte nur, dass sie keine Szene machte. Nicht hier. Dass sie mit dem, was sie ihm sagen wollte, wartete, bis sie in ihrer Kutsche saßen.
Er räusperte sich und erwartete das Schlimmste. »Jennie, das ist Albies Schwester und meine alte Freundin Willa Alden. Willa, darf ich dir Jennie Finnegan vorstellen, meine Frau.«
Dann wartete er und beobachtete Jennies Gesicht, die sicher gleich in Wut und Tränen ausbrechen würde. Jennie jedoch tat keines von beidem. Sie ging auf Willa zu, nahm ihre Hand und sagte: »Mein Beileid, Miss Alden. Mein Mann hat mir viel über den Admiral erzählt, und ich weiß, was für ein wundervoller Mensch er war. Ich kann mir Ihren Schmerz sicher nicht
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