Die Winde von Darkover - 13
Erzählungen wußte sie, daß jeder dieser Geheimgänge tausend Tücken aufwies, und wer sich darinnen nicht mit der nötigen Vorsicht bewegte, konnte sich hoffnungslos verirren.
Die Vorsicht war berechtigt. Nach ein paar hundert Metern war die linke Wand plötzlich verschwunden, und ein Schwall dumpfer Luft schlug ihr entgegen, die aus unheimlicher Tiefe zu kommen schien. Die Luft bewegte sich jedoch, so daß Melitta keine Angst zu haben brauchte, sie könne ersticken. Wenn sie rief, dann schien das Echo ihrer Stimme aus Fernen zu kommen, die sie nicht abschätzen konnte. Mit der Fußspitze stieß sie einen Kieselstein dorthin, wo keine Wand mehr war. Nach unendlich langer Zeit hörte sie weit, weit unten einen kaum mehr wahrnehmbaren Laut.
Dann stand sie plötzlich vor einer glatten Wand. Sie tastete herum und entdeckte, daß ein schmaler Sims am Fuß der Treppe entlangführte. Ihre Hand griff in dicke Spinnweben. Spinnen fürchtete sie nicht, aber wenn sie sich vorstellte, was die Tiere hier unten zu fressen fanden, dann packte sie ein Grausen. Mich kriegen sie nicht zu fressen, dachte sie, nahm ihr Messer in die Hand und hielt es vor sich in die Dunkelheit hinein.
Nun schimmerte da und dort ein Flecken grünlichen Lichts. Es war kein Tageslicht, auch keiner der Monde, und sie konnte auch noch nicht am Ende des Tunnels angelangt sein. Der Sims wurde breiter, und nun kam sie wieder rascher vorwärts.
Im grünen Lichtschimmer erkannte sie, daß sie am Ende des Steintunnels unter einem Bogen angekommen war. Irgendwie schmerzte sie der fahle, geisterhafte Schein, und sie kniff die Augen zusammen. Sie kannte viele der Legenden, die von seltsamen, geheimnisvollen Wesen erzählten, welche in den Tiefen der Berge gelebt hatten. Aber Drachen, überlegte sie, gab es auf Darkover schon lange nicht mehr. Schon vor den Jahren des Chaos hatte keiner mehr gelebt.
Das grüne Licht wurde greller, war wie Gift, das sich in ihre Augen fraß. Vorsichtig trat sie durch den Bogen und spähte in die spukhaft erhellte Dunkelheit. Nun sah sie, daß dieses Licht von giftigen Pilzen stammte, die hier wuchsen, weil sie immer ein wenig frische Luft bekamen. Der vor ihr liegende Raum war hoch gewölbt, und unter den dicken Kissen der Pilze erkannte sie noch die Umrisse von Liegesofas und Stühlen.
Entschlossen schob sie das Grauen, das diese grünschimmernden Pilze in ihr erweckten, von sich. Auch Moos ist grün; und Frösche sind grün, sagte sie sich. Aber dann glaubte sie auch Aas zu riechen. Als ihre Augen sich allmählich an das grüne Licht gewöhnt hatten, sah sie zwischen den Pilzen weiße, madenhafte Tiere herumkriechen. Sie hatten große, vorgewölbte, irisierende Augen, die aussahen, als säßen sie an Stielen, die sich auf sie ausrichteten. Wie gelähmt blieb Melitta stehen. Aus den Erzählungen ihres Vaters wußte sie, daß vor vierzig Jahren dieser Tunnel noch ein gut eingerichteter Fluchtweg gewesen war, und diese Maden und Pilze konnten noch nicht lange hier existieren. Niemand hatte je von diesen ekelhaften Würmern erzählt. Sie hatte keine Ahnung, ob sie giftig waren. Vielleicht waren sie so harmlos wie Spinnen, aber wie sollte sie das entscheiden?
Etwas raschelte hinter ihr. Sie sah hinunter und entdeckte ein kleines Pelztierchen, das auf seinen Hinterkeulen saß und sie neugierig beäugte. Es hatte ein rotes Pelzchen, schien ein Nagetier zu sein und gab kleine, nervöse Zwitscherlaute von sich. Es sah jedenfalls viel hübscher und appetitlicher aus als das weiße Gewürm und die grünen Pilze. Und dann rannte das Tierchen plötzlich unter die Pilze, die sich sofort wie hungrige Mäuler um die Beute schlössen. Nicht einmal die Knöchelchen blieben übrig, nur ein winzig kleines Fetzchen roten Felles.
Melitta konnte nicht schreien. In fasziniertem Entsetzen sah sie zu, wie sich die Pilze allmählich wieder aufrichteten und ihre frühere Gestalt annahmen. Wie komme ich hier heraus, und wie kann ich dann Brynats Männer herunterlocken? überlegte sie fieberhaft. Sie mußte hier durch, aber wie?
Feuer, fiel ihr ein. Alle Tiere fürchten Feuer, nur der Mensch nicht… Sie hatte Stahl und Zunder in ihrer Tasche. Auf Darkover mußte jeder, der um diese Zeit sein Haus verließ, die Möglichkeit haben, Feuer zu schlagen, wenn er nicht sterben wollte. Schon als kleines Kind hatte sie alle Tricks gelernt, mit denen sie immer und überall Feuer machen konnte. Da sie sonst nichts hatte, um eine Fackel daraus zu machen, nahm sie ihren
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