Die Winterchroniken von Heratia 1 - Der Verfluchte (German Edition)
wirbelte Serrashils Haare auf und blies ihr eisig kalte Gischt ins Gesicht. Zu Beginn klammerte sie sich noch erschrocken von der Geschwindigkeit an ihren Gurt, doch nach den ersten paar Stationen gewöhnte sie sich daran. Vor allem das Bremsen war eine Faszination für sich, es schien durch eine Mechanik zu funktionieren, die vor jedem Hafen unter Wasser angebracht war.
Die Reise verging durch ihre hohe Geschwindigkeit flott. In Xoanu, wo Kerib sie verließ, machten sie einen längeren Halt, damit sich die Passagiere die steifen Beine vertreten und etwas essen konnten. Xoanu war eine große, aber schlecht befestigte Handelsstadt. Überall in den dreckigen Straßen und Gassen verfolgte einen der Geruch nach Fisch und bei den Einwohnern schien es sich überwiegend um Seemänner und ihre Familien zu handeln.
Serrashil war erleichtert, als sie wieder aufbrachen. Die Stadt war düster und bedrückend und hatte nichts von der Helligkeit und Unbeschwertheit Jadestadts.
Es dauerte den Rest des Tages, bis sie ihr Ziel erreichten. Hiu stellte sich als verschlafenes kleines Dörfchen heraus, dessen Hafen aus zwei Stegen bestand. Serrashil sah sich um, während sie hinter Carath von Bord balancierte. Außer ihrem Boot befanden sich nur Fischerkähne im Hafen, die ungenutzt auf den Frühling warteten.
Die Matrosen beachteten sie nicht weiter, luden vier Kisten ab und setzten wieder die Segel. Stille kehrte in dem Hafen ein und Serrashil fühlte sich neben Carath und den Kisten verloren.
Eine Bewegung lenkte ihre Aufmerksamkeit auf eine Hütte, die wohl eine Art Hafenmeisterei darstellen sollte. Ein Mann trat aus ihrem Schatten und kam auf sie zu. Er ging gebückt und war auf einen Stock gestützt; auf seinem Kopf fanden sich nur noch vereinzelt weiße Haare.
»Seid Ihr Mashdin?« Serrashil musterte das runzelige Gesicht ihres Gegenübers. Den Meister einer Kampfkunst hatte sie sich anders vorgestellt.
Der Alte humpelte an ihr vorbei, ohne ein Anzeichen von sich zu geben, dass er ihre Worte vernommen hatte. Er trat zu einer Kiste, öffnete das Eisenschloss und kramte ein Päckchen daraus hervor. Anschließend verschloss er sie wieder und wandte sich um.
»Soll … ich Euch folgen?«, rief Serrashil ihm unschlüssig hinterher. »Meister Mashdin?« Wollte er sie etwa auf die Probe stellen? Bei den Meistern der alten Schule kam das angeblich noch öfter vor. Was hatte Rinartin ihr nur aufgebürdet?
»Ihr müsst lauter sprechen, sonst hört er Euch nicht.«
Erschrocken sprang Serrashil zur Seite, als sie die Stimme neben sich vernahm. Carath legte die Ohren an und fauchte wie eine in die Enge getriebene Katze.
Wie aus dem Nichts stand ein Mann neben ihnen, den Serrashil nicht so recht zuordnen konnte. Seine mandelförmigen Augen und die langen Ohren zeichneten ihn als einen Utera aus, doch seine Haut war weder bleich noch grünlich, sondern wirkte wie die eines Menschen. Auch sein hellblondes Haar, das ihm bis zu den Hüften fiel, hatte eine vergleichsweise menschliche Farbe. Er war in einen einfachen braunen Stoff gehüllt, der von schwarzen Bändern an seinem Platz gehalten wurde. Serrashil wusste von Kie, dass diese Art der Kleidung im Großraum Chaylia unter den Menschen verbreitet war.
Auch Carath schien nicht so recht zu wissen, was er von dem Mann halten sollte, denn er musterte ihn argwöhnisch von unten bis oben.
»Wenn Ihr Mashdin sucht, könnt Ihr Euch jedoch auch an mich wenden«, fügte der Fremde hinzu und trat ebenfalls an eine der Kisten, um mehrere Täschchen und ein Paket herauszunehmen.
»Dann seid Ihr Meister Mashdin?« Serrashil betrachtete ihn eingehend. Immerhin wirkte er jung und athletisch und konnte sie hören.
»Ja. Mit wem habe ich die Ehre?« Er wandte sich wieder zu ihnen und lächelte freundlich. An Carath blieb sein Blick länger hängen als an Serrashil.
»Mein Name ist Serrashil Fraekut und das ist Carath. Wir kommen aus Jadestadt zu Euch. Ich bin eine Studentin Waffenloser Kampfkünste und bitte Euch, mir eine Einführung in die Kampfkunst Oren’si zu geben.«
Mashdin neigte den Kopf. »Und was erwünscht Ihr Euch hier zu finden, Carath?«
»Ich suche nichts.«
»Er begleitet mich lediglich«, fügte Serrashil hinzu.
Der Mann straffte die Schultern und verschränkte die Arme hinter seinem Rücken. »Warum sollte ich Euch Oren’si anlernen, Serrashil?«
Sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Mit dieser Frage hatte sie gerechnet und sie hatte auch eine Antwort parat.
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